Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
zu diesem
Zeitpunkt waren.« Ihre lebhaften Pupillen verrieten innere Unruhe.
Jensens Blutdruck schoss in die Höhe. Doch etwas in ihm
rief ihn zur Ordnung. Sie hatten einander fest versprochen, sich bei diesen
Hütten-Wochenenden gegenseitig alles sagen zu dürfen, ohne dass sich daraus
persönliche Animositäten entwickelten. Es war für sie eisernes Gesetz, sich zu
achten und die Meinung des jeweils anderen zu respektieren. Nur so war es
bisher möglich gewesen, über alles zu reden und zu philosophieren – insbesondere über die Themen, deretwegen sie sich hier
trafen: über alles, was sich im Grauzonenbereich von Wissenschaft und
kultureller Weltanschauung bewegte und wozu es keine konkreten Antworten geben
konnte, weil greifbare Beweise dafür fehlten.
Josefina
war jetzt mit dem Oberkörper ganz auf die Tischplatte gesunken und vergrub das
Gesicht auf den Unterarmen.
Nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens erfüllten
schnell anschwellende Hubschrauber-Geräusche die Luft. Jensen eilte sofort zur
Tür, sodass Mullinger zur Seite wich, ihm dann aber ins Freie hinaus folgte.
Das Knattern war inzwischen bedrohlich laut geworden, und kaum hatten sie auf
der Terrasse die Hauskante erreicht, flog in niedriger Höhe ein
Polizei-Helikopter an ihnen vorbei. Die Uniformierten an Bord schienen aber
keine Notiz von ihnen zu nehmen.
»Die
suchen was«, rief Jensen dem jungen Mann zu, der sich nur ein paar Meter von
ihm entfernt am Holzgeländer festhielt und dem Hubschrauber nachblickte.
Mullinger
nickte. Er musste wieder an den Mann mit dem Goldkettchen denken.
23
Mike Linkohr hatte schnell
seine neue Freundin Nena angerufen und ihr gesagt, dass er nicht – wie
geplant – in der Nacht noch kommen werde. Obwohl sie seinen Beruf spannend
fand und Verständnis für plötzliche Einsätze aufbrachte, war ihr die tiefe
Enttäuschung jetzt anzuhören. Der junge Kriminalist, der seit Jahr und Tag im
Umgang mit dem weiblichen Geschlecht glücklos war, versprach, gleich morgen
früh wieder anzurufen.
Als der
diensthabende Ulmer Staatsanwalt einen Richter erreicht hatte, war auch der
Schlüsseldienst informiert worden, auf dessen Hilfe die Polizeidirektion
Göppingen schon oft zurückgegriffen hatte.
Zwei
Beamte der Spurensicherung und ein Experte aus dem Bereich der Informatik
trafen mit ihrem weißen Kastenwagen als Erste in dem beschaulichen
Drackensteiner Wohngebiet auf der Albhochfläche ein. Spätestens, als sie ihre
weiße Schutzkleidung überstreiften, sorgten sie an diesem hellen Sommerabend
für Aufsehen. Unterdessen parkte Linkohr den Dienst-Mercedes des Chefs ein
Stück weiter.
Das
kleine Einfamilienhäuschen, das Karin Waghäusl allein bewohnte, schmückte sich
mit einem Garten voller Frühlingsblumen und zwitschernder Vögel. Nachdem die
Beamten vorsorglich geklingelt hatten, sich im Gebäude aber nichts rührte, begann
der Mann vom Schlüsseldienst mit seiner Arbeit. »Zwar richtig abgeschlossen,
aber kein allzu großes Problem«, stellte er fest und und machte sich mit seinen
filigran wirkenden Instrumenten ans Werk. Ein paar Minuten später schwenkte die
Tür auf. Obwohl die Sonne erst vor zehn Minuten untergegangen war, knipsten die
Beamten der Spurensicherung die Lichter in der Wohnung an. Häberle gab seinem
jungen Kollegen zu verstehen, ihm ums Haus zu folgen. »Wir schau’n mal, ob
alles in Ordnung ist«, sagte er und ließ sich vom Duft eines weißen Strauches
betören. Ein paar Schritte weiter, im halbschattigen Bereich des Gartens,
fanden sich Nelken. »Warum nur sind diese Düfte so anregend?«, brummte Häberle
und fügte an: »Schade, dass Flieder und Maiglöckchen schon verblüht sind.«
Linkohr sah seinen Chef grinsend an: »Flieder und Maiglöckchen erinnern einen
vielleicht an die früheste Jugend – weil
man damals zu dieser Jahreszeit draußen die tollsten Abenteuer erlebt hat. Ich
hab mal gehört, dass uns Düfte ein Leben lang an bestimmte Situationen
erinnern, mit denen sie verbunden waren.«
Häberle
nickte. Er stellte unterdessen zufrieden fest, dass Fenster und Lichtschächte
keine Einbruchspuren aufwiesen. Inzwischen war er – gefolgt von Linkohr – ums ganze Haus gegangen und näherte sich wieder dem schmalen
Zugangsweg. Dort wartete ein Mann, der offenbar nicht so recht wusste, wie er
seine Anwesenheit erklären sollte. »Entschuldigen Sie«, sagte er gleich, »ich
bin der Nachbar von da drüben.« Er deutete mit dem Kopf zum nächsten Haus auf
derselben
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