Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
der Gewissheit
zu leben, irgendwann entlarvt zu werden. Allein das muss schon die Hölle auf
Erden sein.«
Aus
Mullingers Gesicht war inzwischen das letzte Stück Farbe gewichen.
30
Häberle war hundemüde. Er hatte
zwar nicht bis zuletzt bei der Hausdurchsuchung in Oberdrackenstein ausgeharrt,
aber jetzt, gegen 23.30 Uhr, fühlte er sich ausgelaugt und gestresst. Sein
Kollege Mike Linkohr blätterte am Besuchertisch in einigen Akten, die ihm in
Karin Waghäusls Wohnung besonders aufgefallen waren.
»Haben Sie jemals was von ›Erdställen‹ gehört?«, fragte
er, während Häberle einen kräftigen Schluck heißen Kaffees nahm.
»Erdställe?«, wiederholte der Chefermittler. »Ställe
unter der Erde – oder was?«
»Nein, der Name kommt wohl von ›Stelle‹ und ist eher
geografisch zu sehen. ›Erdställe‹ gehören zu den großen Geheimnissen
Mitteleuropas.« Linkohr blätterte in einem Ordner. »Die Frau Waghäusl hat sich
offenbar mit allem befasst, was mysteriös, mystisch und merkwürdig erscheint.«
Er sah zu Häberle hinüber, um zu prüfen, ob er noch aufnahmefähig war.
»›Erdställe‹ sind unerklärliche, künstlich angelegte unterirdische Gänge, die
keinerlei Sinn zu ergeben scheinen. Man kann das hier nachlesen.« Er deutete
auf die dicke Akte. »Meist sind die Gänge und Durchschlupfe so eng, dass nur
ein einziger Mensch durchkommt. Das ganze System, so steht hier, sei weder als
Fluchtgänge, noch als Aufenthaltsort bei einem etwaigen Angriff von Fremden zu
erklären. Sowohl der Platz als auch die Sauerstoffversorgung hätten dazu
niemals ausgereicht. Mehr als 800 solcher unterirdischer Labyrinthe gibt es
angeblich allein im Bereich des Bayrischen Waldes«, berichtete Linkohr aus den
Akten. »Frau Waghäusl hat dies akribisch aufgelistet«, ergänzte Linkohr. »Aber
es gibt noch viel mehr Interessantes.« Er deutete auf einen anderen
Aktenordner, den er gleich in Häberles Büro hatte bringen lassen. »Sie hat
tatsächlich Jagd auf die Schwindler bei diesen Kaffeefahrten gemacht«,
berichtete er weiter. »Sie hat diese dubiosen Einladungskarten gesammelt, mit
denen überwiegend ältere Menschen zu Verkaufsveranstaltungen gelockt werden.
Mit angeblichen Gewinnen bei Preisausschreiben, an denen sie gar nie teilgenommen
haben. Hier«, er zeigte auf den Inhalt einer Klarsichthülle, »eine Kaffeefahrt
mit angeblich üppigem Essen ins Remstal.«
»Vermutlich in eine Spelunke in einem öden
Industriegebiet, wo die Teilnehmer nicht abhauen können. Und von wegen üppiges
Essen! Alles Schwachsinn«, ärgerte sich Häberle. Er entsann sich noch einer
Reportage, die der örtliche Lokaljournalist Georg Sander einmal darüber
geschrieben hatte.
»Frau Waghäusl hat in ihrem Terminkalender … «, Linkohr zeigte auf ein schwarzes Buch, das für jeden
Tag eine komplette Seite bereithielt, »… für die nächste Zeit einige Namen,
Adressen und Telefonnummern notiert. Für kommenden Dienstag steht auch diese
ominöse Sache mit ›Waldsee‹ und ›chin‹ drin. Sie erinnern sich … «
»Der
Zettel aus ihrem Auto, ja. Gibt’s dazu Genaueres?«
»Ich
denke, wir haben da eine Spur. Sie hat in ihrem Terminbuch eine Telefonnummer
stehen. Vorwahl 07524. Das ist Bad Waldsee im Oberschwäbischen.«
»Und der Anschluss?« Häberles Neugier war geweckt.
»Ein
Chinese – oder genauer gesagt: ein ziemlich angesehenes chinesisches
Restaurant, wie uns die Kollegen in Bad Waldsee gesagt haben. Im ehemaligen
Gasthaus Linde drin.«
»Ach.
Chinesen. Also doch die große Finanzwelt. Wann wollte Frau Waghäusl dort sein?«
»Dienstag,
20 Uhr.«
»Das
wär doch ein Termin für Sie«, sagte Häberle grinsend. »Sie mögen’s doch
exotisch, oder?«
Linkohr
überlegte für einen kurzen Moment, ob er dort inkognito ermitteln und Nena
mitnehmen konnte. »Ich werd mir den Termin notieren.«
»Und
was gibt dies hier sonst noch her?« Häberle deutete auf die Papiere, die sein
junger Kollege hergeschleppt hatte.
»Diese
seltsame Ahnengalerie. Aber ich glaube nicht, dass uns das weiterbringt. Die
Waghäusls haben ihre Verwandtschaftsverhältnisse klären wollen, denke ich.«
»Und
die andere Linie, die angefangen wurde? Wie heißt die noch mal schnell?«
»Rattinger.
Vielleicht die Seite von Frau Waghäusl«, mutmaßte Linkohr.
»Die
ist aber keine geborene Rattinger, wie ich den Akten entnehme.«
Der
junge Kriminalist seufzte in sich hinein. »Da muss noch jede Menge Material
gesichtet werden. Was auffällt:
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