Grave Mercy Die Novizin des Todes
kümmern wird. Das tut er immer.« Er schiebt seinen Läufer hinter dem Bauern hervor und nimmt meinen Springer. Als er aufschaut, treffen sich unsere Blicke. »Ihr seid am Zuge«, sagt er leise.
Ich behalte eine unbeschwerte Miene bei und richte das Gespräch auf andere Dinge. »Euer Bruder dient dem heiligen Camulos«, bemerke ich, während ich das Brett betrachte. »Wenn überhaupt, welchem Heiligen dient Ihr? Der heiligen Arduinna vielleicht? Oder dem heiligen Salonius?« Sobald mir der Name über die Lippen kommt, wünsche ich, ich könnte ihn zurücknehmen. Da François ein uneheliches Kind ist, besteht eine sehr reale Chance, dass er dem heiligen Salonius geweiht wurde, dem Schutzheiligen der Fehler.
Er übersieht meinen Schnitzer und presst die Hände aufs Herz. »Ihr verletzt mich, Demoiselle! Arduinna?«
Ich zucke die Achseln. »Ihr seid überaus charmant, also erscheint es mir passend.«
François’ braune Augen werden ernst. »Es steckt mehr in mir als das, Demoiselle.«
»Ach ja?«, frage ich und lege einen Hauch Zweifel in meine Stimme, sodass er sich gezwungen fühlen wird, es mir zu beweisen.
Trotz der Ernsthaftigkeit, die ihn überkommen hat, lächelt er. »Ich wurde dem heiligen Mer geweiht«, erklärt er, »in der Hoffnung, dass ich eine Karriere bei der Marine einschlagen würde.« Er verzieht ironisch das Gesicht. »Bis wir entdeckt haben, dass ich, sobald ich einen Fuß auf sein Boot setze, rettungslos seekrank werde und niemandem auch nur von geringstem Nutzen bin.«
Ich lache, wie es seine Absicht ist, aber es überrascht mich doch festzustellen, dass es mir um seinetwillen auch leidtut. Es ist keine Kleinigkeit, einem Heiligen geweiht zu werden, dem man nicht dienen kann. »Und Eure Schwester, die Herzogin?«, frage ich.
»Ah, sie wurde der heiligen Brigantia geweiht«, antwortet er, dann verfällt er in Schweigen.
Natürlich. Die Schutzheilige der Weisheit.
»Ihr steht Eurer Schwester nicht besonders nahe, nicht wahr?«
Er schaut wieder zu mir auf, und diesmal ist sein gewöhnlich so offener Blick undeutbar. »Ich bekam keine Chance dazu. Von der Zeit ihrer Geburt an war Duval ihr Beschützer; ich bin nie nahe an sie herangekommen.«
Ich mustere ihn. Es ist nicht die leise Verbitterung in seiner Stimme, die mich überrascht, sondern das schwache Echo der Verlassenheit. »Ihr vermisst ihn«, sage ich überrascht.
François greift nach seinem Turm und mustert ihn. »Ja, ich vermisse ihn. Wir haben in unserer Jugend alles zusammen getan. Er war mein älterer Bruder, derjenige, der mich gelehrt hat, wie man ein Schwert hält, wie man einen Bogen spannt und wo man den fettesten Hecht fangen kann. Als Anne geboren wurde, hat das alles aufgehört, und er wurde von seinen Pflichten verzehrt.« Er schiebt seinen Turm acht Felder weiter. »Schach«, sagt er leise.
Ich studiere für einen Moment das Brett und versuche, meinen Geist zu dem Spiel zurückzuzwingen. Schließlich ziehe ich einen Bauern. Es ist ein schwacher Zug, und François sieht mich mit milder Erheiterung an. »Lenkt das Gespräch über meinen Bruder Euch so sehr ab?«, fragt er.
»Nein«, sage ich und bringe ein geringschätziges Lächeln zustande. »Es ist nur so, dass ich wirklich ungeheuer schlecht im Schach bin, wie ich es Euch gesagt habe.«
Er lächelt, aber das Lächeln erreicht seine Augen nicht. Etwas hinter mir lenkt seine Aufmerksamkeit auf sich. »Gavriel, hast du endlich einmal beschlossen, Luft zu schnappen?«
Ich schaue über meine Schulter, überrascht, Duval mit düsterer Miene in der Tür stehen zu sehen. »Nein«, antwortet er knapp. »Ich bin gekommen, weil ich mit Demoiselle Rienne sprechen muss. Wenn du uns entschuldigst?« Seine Stimme ist eiskalt, und ich kann nicht ergründen, warum.
»Aber natürlich.« François steht auf.
Sobald ich an Duvals Seite bin, umfasst er mit eisernem Griff meinen Ellbogen. Ich zucke zusammen, als er mich zur Tür führt. Sein Miene ist unergründlich, und ich muss meinen Schritt beschleunigen, damit er mich nicht hinter sich herzerrt. Trotzdem zwingt mich irgendetwas, mich noch einmal zu François umzudrehen. Sein Blick ruht hungrig auf Duval, und seine Augen sind voller Sehnsucht.
Sobald Duval und ich im Flur sind, entziehe ich ihm den Arm. »Habe ich etwas falsch gemacht?«
Er bleibt stehen, wirbelt mich zu sich herum und drückt mich dann an die Wand. Seine Augen funkeln zornig, als er sich zu mir vorbeugt. »Habt Ihr Befehle vom Kloster bekommen, von denen
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