Grave Mercy Die Novizin des Todes
Flügel.
Zu meiner großen Enttäuschung ist es keine Anweisung von der Äbtissin, sondern stattdessen ein Brief von Annith. Ich überprüfe das Siegel, dann breche ich es auf und lese.
Annith schreibt, dass sie nie irgendwelche Gerüchte oder Tratsch darüber gehört habe, dass Geweihte Mortains sich auf Dauer Liebhaber nehmen, fleht mich aber an, dass ich ihr sage, warum ich es wissen möchte. Zu meinem Glück verbringt sie wenig Zeit damit, mich in diesem Punkt zu bedrängen; sie ist vollauf mit ihrer eigenen Situation beschäftigt.
Schwester Vereda ist krank geworden, schreibt sie, und hatte seit über einer Woche keine Vision mehr.
Ist das der Grund, warum ich keine Befehle aus dem Kloster erhalten habe? Weil Schwester Vereda krank ist? Wenn das der Fall ist, dann muss ich gewiss noch genauer nach Mortains Todesmalen Ausschau halten.
Die Nonnen haben sich häufiger als gewöhnlich hinter verschlossenen Türen getroffen, daher musste ich natürlich lauschen, um festzustellen, worum es ging. Ismae, ich habe die ehrwürdige Mutter selbst zu Schwester Thomine sagen hören, dass sie denkt, ich würde in der Lage sein, als Seherin des Klosters zu dienen, sobald Schwester Vereda in das Reich des Todes hinübergeht! Eine Seherin! Nach allem, wofür ich ausgebildet wurde, allem, was ich studiert und geübt habe. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, mich darauf vorzubereiten, das Kloster im Dienste Mortains zu verlassen – und jetzt denkt sie daran, mich für immer in diesen dicken Steinmauern einzuschließen. Ich will es nicht tun. Ich kann es nicht tun. In der Tat, der Gedanke hat mich während der letzten vier Nächte wach gehalten. Bei der bloßen Vorstellung habe ich das Gefühl zu ersticken. Also bitte bete in Deinen freien Momenten für Schwester Vereda, dass sie sich erholen möge und dass ich nicht für den Rest meiner Tage in das Allerheiligste des Klosters gesperrt werde.
Deine unglückliche Annith
Arme Annith! Meinte die ehrwürdige Mutter das im Ernst? Hat sie die Absicht, Annith niemals aus dem Kloster zu lassen? Annith’ Notlage ist so ernst, dass sie mich von meinem eigenen Elend ablenkt, aber zu guter Letzt habe ich keine andere Wahl, als mich für die spezielle Zusammenkunft aller Barone, die die Herzogin einberufen hat, anzukleiden.
Als die Kirchenglocken Mittag schlagen, strömen bretonische Edelleute, Höflinge, Barone und der Kronrat in die große Halle. Duval legt besonderes Augenmerk darauf, dass Gisors teilnimmt. »Soll er es als eine Geste des guten Willens deuten, selbst wenn es nichts Derartiges ist«, erklärt er.
Ich betrachte die Gesichter der versammelten Menschen. Es gibt viel Tratsch und Spekulationen über die Frage, warum diese Versammlung einberufen wurde. Viele schauen zu d ’ Albret hinüber und fragen sich zweifellos, ob es etwas mit dem Verlöbnis zu tun hat, mit dem er während der vergangenen zwei Tage geprahlt hat.
Die hintere Tür des Raums wird geöffnet, und zwei Wachen kommen hereinstolziert. Die Herzogin erscheint als Nächstes, gefolgt von ihrem Kronrat. Die Ratsmitglieder sind sichtlich verstimmt, dass eine solche Versammlung ohne ihre Billigung einberufen wurde. Mein Blick wandert zu Madame Dinan, deren Gesicht einen ärgerlichen Ausdruck von Selbstgefälligkeit zur Schau stellt. Denkt sie wirklich, dass sie gewonnen hat? Ist es möglich, dass sie so wenig über das Mädchen weiß, das großzuziehen sie geholfen hat? Einmal mehr fallen mir Schwester Beatriz’ Worte ein: Die Menschen hören und sehen, was sie zu hören und zu sehen erwarten.
Madame Dinan lächelt d ’ Albret an, und er lächelt zurück. Ich bin erpicht darauf zu sehen, wie lange genau dieses Lächeln halten wird.
Die Herzogin nimmt ihren Platz ein und bedeutet Duval, ihr das Pergament zu reichen. Während sie es entfaltet, wird es still im Raum. Ich kann nicht umhin, ihre Seelenstärke zu bewundern – es ist nicht einfach, einen Mann vor seinesgleichen zurückzuweisen.
»Ich, Anne, herzogliche Prinzessin der Bretagne, erkläre hiermit, dass die Verlöbnisvereinbarung zwischen mir und Graf d ’ Albret null und nichtig ist, da ich sie in Unkenntnis des Versprechens unterschrieben habe, das ich damit gab. Obwohl wir für den tapferen Dienst des Grafen während der Herrschaft meines Vaters ewig dankbar sein werden und fortfahren, ihn als Verbündeten zu schätzen, werde ich weder jetzt noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt eine Ehe mit Graf d ’ Albret eingehen.«
Als sie fertig
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