Grave Mercy Die Novizin des Todes
abbekommen«, erkläre ich ihm, während ich hinübereile, um mich neben die Stute zu knien. Der strenge Geruch von Bitterwurz erfüllt meine Nase, und es sind Flöckchen blutigen Schaums aufihren Lippen.
»Gift.« Noch während ich das Wort sage, kann ich die fiebrige Hitze spüren, die sie verströmt. »Also keine einfachen Räuber. Sie wollten uns töten.« Ich streiche mit der Hand über Nocturnes seidige Flanke und versuche, sie zu trösten. »Habt Ihr so viele Feinde?«, frage ich Duval.
»Es hat den Anschein«, antwortet er. »Die bessere Frage ist: Sollte ich mich geschmeichelt fühlen, dass sie mir sieben Mann auf den Hals gehetzt haben? Oder bedeutet das, sie wussten, dass ich mit einer geübten Kämpferin reisen würde?«
Mir ist die volle Tragweite dessen, was er gesagt hat, sofort klar. »Wollt Ihr andeuten, dass die Äbtissin sie geschickt hat? Oder Kanzler Crunard?« Ich kann es kaum fassen, und es fällt mir schwer, einen ruhigen Ton anzuschlagen.
Er zuckt die Achseln. »Es scheint, dass, wer immer sie geschickt hat, wusste, dass wir beide zu kämpfen verstehen.«
Ich fühle mich versucht zu fragen, ob er auch die Bestie oder de Lornay im Verdacht hat, aber dann müsste ich preisgeben, dass ich ihr Gespräch belauscht habe, und ich bin nicht bereit, das zu tun. Noch nicht.
Ist es möglich, dass Duval sie vorausgeschickt hat, um so etwas zu arrangieren? Hätte er einen Angriff inszeniert, um mich loszuwerden?
»Wir müssen sie von ihrem Elend erlösen«, sagt Duval sanft.
Seine Worte erinnern mich an das, was ich tun muss, und obwohl ich mich danach sehne, Nocturnes Leiden zu lindern, macht es mich über alle Maßen traurig, dass ich mich von ihr verabschieden muss.
»Möchtet Ihr, dass ich es tue?« Duvals Stimme ist voller Güte. Da ist kein Anflug von Herablassung, aber ich handele so, als wäre es anders. Wütend zu werden ist die einzige Möglichkeit, dies zu ertragen. »Ich bin im Töten ausgebildet«, rufe ich ihm ins Gedächtnis. »Ich brauche keine Hilfe.«
»Keiner von uns ist darin ausgebildet, jene zu töten, die uns gut und treu gedient haben«, entgegnet er. »Es ist eine ganz eigene, besondere Pein, und ich würde sie Euch gern ersparen, wenn ich könnte.« In seiner Stimme liegt ein Anflug von Kummer, und ich weiß – weiß –, dass er genau das hat tun müssen. Sein Mitleid macht den Schmerz über den Verlust Nocturnes noch schlimmer, als seien meine Gefühle für sie keine kindische Zuneigung, die ich vor langer Zeit hätte abstreifen sollen. »Ich bin nicht schwach.« Um meine Worte zu beweisen, greife ich nach meinem Messer.
»Ich habe nie behauptet, dass Ihr es wärt.« Seine Stimme ist immer noch sanft, als könne er sehen, wie sehr mir dies wehtut.
Was nur meine Entschlossenheit stärkt zu beweisen, dass es nicht so ist. »Wenn Ihr mit Eurem endlosen Geplapper aufhört, werde ich es tun.« Ich fühle mehr als dass ich sehe, wie er zurücktritt, und ich kann plötzlich wieder atmen, jetzt, da er nicht länger so nah ist. Ich richte meine volle Aufmerksamkeit auf Nocturne und wünsche mir, irgendeine Möglichkeit zu finden, sie wissen zu lassen, wie sehr ich sie vermissen werde.
Ich lege die Wange an ihren Hals und atme ihren vertrauten Pferdeduft ein. »Danke«, murmele ich in ihr Ohr, »dass du mich so treu getragen hast und dass du meine Freundin warst.« Ich flüstere diesen letzten Teil so leise, dass ich Angst habe, sie wird es nicht hören. Aber ihr Ohr zuckt, und ich weiß, dass meine Worte sie erreicht haben. Sie stößt ein schwaches Wiehern aus, als wolle sie mich wissen lassen, dass sie versteht. »Ich höre, es gibt viele Möhren dort, wo du hingehst«, erzähle ich ihr. Dann, bevor ich stocken kann, ergreife ich die Reliquie und lege sie an ihre Kehle.
Nocturnes Geist verlässt ihren Körper in einer warmroten Wolke. Eine schwache Brise fächelt vorbei; sie trägt den Duft von süßem grünem Gras und dem Gefühl, in den Wind zu galoppieren. Ich lege den Kopf auf ihren Hals und bete, dass ich nicht weinen werde.
Dann fasst Duval mich am Arm und zieht mich auf die Füße. Wenn ich nicht wüsste, dass er Nerven aus Eisen hat, hätte ich gesagt, dass ich in seinem Gesicht einen schwachen Anflug von Panik sehen kann.
»Was tut Ihr?« Ich entreiße ihm den Arm.
Er starrt eindringlich auf den Schnitt in meiner Haut. »Wenn eine Klinge vergiftet war, warum dann nicht die anderen auch?« Als ich ihn verständnislos ansehe, schüttelt er mich ein wenig.
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