Grave Mercy Die Novizin des Todes
der Frauen. »Jetzt geht bitte. Ich hätte gern ein paar Sekunden für mich allein, bevor ich aufbreche.«
»Aber Euer Haar«, wendet Louyse ein, und ihr altes Gesicht ist jetzt unsicher.
Ich schlage einen sanfteren Tonfall an. »Danke, aber ich kann es selbst frisieren. Ihr vergesst, dass ich in einem Kloster erzogen wurde und dass all diese Eitelkeit mir nicht ansteht.«
»Ah.« Ihr altes Gesicht hellt sich auf, als sie versteht, und sie tätschelt meine Hand. Dann scheucht sie die anderen aus dem Raum, schließt die Tür hinter sich, und ich bin wunderbarerweise allein. Zumindest für einen Moment. Ich gestatte mir einen weiteren schnellen Blick in den Spiegel, und – jetzt, da niemand es sehen kann – wirbele ich nun doch herum und genieße, wie der schwere Rock schwingt und der Stoff sich kräuselt wie Wasser.
Ich komme mir töricht vor, als ich dem Spiegel den Rücken zukehre und zum Bett eile, um das Netz aus Gold und Perlen zu ergreifen. Hastig schlinge ich mein Haar zu einem Knoten, dann spanne ich das Netz darum herum.
Als Nächstes gehe ich zur Matratze und greife nach meinen Waffen. Sobald meine Finger die Knöchelscheide berühren, strömt wieder Selbstgewissheit in meine Adern zurück. Ich binde sie fest, dann greife ich nach der Handgelenkscheide. Unter dem engen Ärmel ist kaum genug Platz, aber nach langem Herumnesteln kann ich sicherstellen, dass alles funktioniert. Schließlich lasse ich das tödliche goldene Armband über mein Handgelenk gleiten, dann lege ich die Hand an die Taille. Bei der tröstlichen Berührung der Reliquie lächele ich, und ein Gefühl von Entschlossenheit überkommt mich. Gewiss wird Mortain mir heute Abend Seine Wünsche kundtun, und ich werde mit den Verrätern unseres Landes auf eine Weise verfahren können, wie es ihren Verbrechen geziemt.
Ich lächele noch immer bei dem Gedanken, während ich zu Duval gehe. Er erwartet mich am Fuß der Treppe, und als ich auf der obersten Stufe erscheine, vergisst er, was er zu seinem Haushofmeister sagen wollte, und starrt mich an, als habe er mich noch nie zuvor gesehen. Obwohl das durchaus Schauspielerei sein mag, gefällt es mir mehr, als es sollte. Wahrhaftig, es kann nicht nur Schauspielerei sein, denn Duval ist ein Meister darin, eine Situation zu beherrschen, und würde mir niemals wissentlich einen solchen Vorteil gewähren. »Das genügt für den Moment«, sagt er schließlich zu dem Haushofmeister.
»Guten Abend, gnädiger Herr«, begrüße ich ihn, während ich die Treppe hinuntergehe und versuche, die trügerische Freude zu ersticken.
Als er meinen Arm ergreift, sieht er mich argwöhnisch an. »Was ist los?«, fragt er.
»Darf ich nicht lächeln, ohne Euer Unbehagen zu erregen?«
»Nein«, antwortet er und verzieht den Mund.
»Ihr braucht nicht so misstrauisch dreinzuschauen; ich übe nur meine Rolle für die Maskerade heute Abend. Wenn wir – wenn ich – den Hof nicht von meiner Rolle überzeugen kann, dann werde ich keinen Zugang zu den Feinden der Herzogin finden und bei der Aufgabe, die das Kloster mir gestellt hat, versagen. Ich habe nicht die Absicht zu scheitern.« Die unwillkommene Wahrheit ist, dass Duval bis zu Kanzler Crunards Rückkehr mein einziger Verbündeter am Hof ist. Darüber hinaus reagiert der bretonische Adel nicht freundlich aufPersonen von niederer Geburt, die in seinen Palästen umherstolzieren. Der letzte Mann aus dem gemeinen Volk, der so hoch hinaus wollte, ist am Galgen geendet, als sein Ehrgeiz sich als größer erwies, als sein Stand es zuließ.
»Was für ein Schatten ist gerade über Eure Züge geglitten?«, fragt Duval, und ich verfluche seine Augen, die immer zu viel sehen.
»Ich habe an den verstorbenen Kammerherren Eures Vaters gedacht.«
Duval wird ernst. Er zieht meinen Arm fester an seinen. »Das wird Euch nicht zustoßen.« Seine Worte klingen beinahe wie ein Schwur, was mir großes Unbehagen bereitet.
Um uns beide abzulenken, schmiege ich mich an ihn und lasse mein strahlendstes Lächeln aufblitzen, jenes, das ich von Sybella abgeschaut habe. »Dann wäre das also geklärt. Wollen wir gehen?«
Er blinzelt. »Wenn Ihr nicht vorsichtig seid, werde ich beginnen zu denken, dass Ihr Zuneigung zu mir gefasst habt.«
Bei seinen Worten flattert etwas glücklich in meiner Brust; endlich fasse ich in diesem Spiel, das wir spielen, Tritt. »Es ist das, was wir den Hof glauben machen wollen, gnädiger Herr.«
Die Pracht des bretonischen Hofes lässt sich kaum beschreiben.
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