Grave Mercy Die Novizin des Todes
Folgt ihm nicht wie ein Hund seinem Herrn folgt.«
Meine Hand krampft sich um den Weinkelch, und ich bin froh, dass er aus Silber ist, nicht aus Glas, denn gewiss würde er unter der Wucht meines Ärgers auf diese Frau zerspringen. »Madame, ich versichere Euch …«
»Oh, nennt mich Antoinette, ja? Ich denke, wir werden gute Freundinnen werden, Ihr und ich.«
»Haltet Ihr das für eine gute Idee, wenn man den Bruch zwischen Euch und Eurem Sohn bedenkt?«
Ein Anflug kalten Zorns flackert über ihre Züge, dann ist er verschwunden. »Vielleicht könnt Ihr uns helfen, diesen Bruch zu kitten.«
Ich stelle meinen Kelch auf den Tisch und schenke Madame Hivern meinen unschuldigsten Blick. »Ist das der Grund, warum Ihr nach ihm gesucht habt? Um einen Waffenstillstand vorzuschlagen?«
Ärger blitzt in ihrem Gesicht auf, und sie schaut sich im Raum um, als suche sie nach einer Ablenkung. Anscheinend findet sie eine, denn Ihre Miene wird weicher und in Ihren Augen leuchtet das erste echte warme Gefühl, das ich an ihr wahrnehme. »Mein Liebling!« Madame Hiverns Gesicht strahlt vor Freude. »Komm doch her, ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Der Mann, der sich uns nähert, ist groß und schlank, mit dunklen Augen und feinen Gesichtszügen, und er ist viel zu jung, um ihr Geliebter zu sein, und doch hat sie ihn Liebling genannt. Er wirft mir einen vorsichtigen, abschätzenden Blick zu, dann beugt er sich vor, um Madame Hivern auf die Wange zu küssen.
»Ismae, ich möchte Ihnen gern meinen Sohn vorstellen, François Avaugour. François, das ist Ismae, Gavriels neue Freundin.«
Wenn er etwas über die »Freundin« seines Bruders gehört hat, so lässt er sich nichts anmerken. Er beugt sich galant über meine Hand. »Enchanté, Demoiselle. Jeder Freund meines Bruders ist ein Freund von mir.«
Ich murmele als Antwort irgendeinen Unsinn, und Madame Hivern klopft auf den Platz neben sich. »Komm und setze dich zu uns, mein Liebster.«
»Aber natürlich.« François wählt den Stuhl neben Madame Hivern, sodass er mir gegenübersitzt. »Wie kann ich zwei der entzückendsten Damen bei Hof widerstehen?«
Am liebsten würde ich bei seinen Worten die Augen verdrehen, aber stattdessen schaue ich ihn durch meine Wimpern hindurch an.
»Gavriels Freundin ist nicht an solch geschliffene Manieren gewöhnt, François. Sie hat zu lange auf dem Land gelebt. Du solltest ihr anbieten, sie durch ihren ersten Besuch bei Hof zu geleiten, während dein Bruder sich um seine anderen Pflichten kümmert.«
Seine schimmernden braunen Augen suchen meinen Blick. »Mir fällt nichts ein, was mir größere Freude bereiten würde, Demoiselle.«
»Ihr seid so freundlich«, murmele ich, erfreut darüber, wie leicht ich an den Busen der Familie Duvals gezogen worden bin. Sie müssen nach seinen Geheimnissen gieren, so wie ich nach ihren hungere.
»Mein Sohn wurde am Hof geboren und großgezogen und kann Euch sicher durch trügerisches Wasser geleiten.«
»Aber gewiss wird Vicomte Duval das tun wollen«, protestiere ich.
»Vicomte Duval kann was tun?«, erklingt eine tiefe vertraute Stimme.
»Gavriel!« Madame Hiverns Stimme ist voller Frohsinn, der genauso falsch ist wie ihr Herz. »Was für eine entzückende Überraschung. Wir lernen gerade deine Freundin ein wenig besser kennen. Sie ist so ein charmantes kleines Ding.«
Das warme, schwere Gewicht von Duvals Hand legt sich auf meine Schulter, und ich bin sprachlos, als er sich vorbeugt und mir einen Kuss auf den Kopf drückt.
»Liebste Ismae«, sagt Duval. »Was tust du denn hier? Nicht, dass es nicht eine zauberhafte Überraschung wäre.«
Merde. Ich war so beschäftigt damit, mit Madame Hivern die Klingen zu kreuzen, dass ich nicht über eine Erklärung für meine Anwesenheit hier am Hof nachgedacht habe.
»Sie war so freundlich, meine Einladung anzunehmen, Gavriel«, sagt Madame Hivern mit einem verschlagenen Blick in meine Richtung. »Ich dachte, es würde Spaß machen, Bekanntschaft zu schließen.«
Duvals Hand auf meiner Schulter krampft sich zusammen, dass es schmerzt, dann nimmt er sie weg und macht eine flüchtige Verbeugung. Ich weiß nicht, wie er es schafft, dass sie ironisch wirkt, aber es gelingt ihm. »Die Großzügigkeit meiner gnädigen Frau Mutter kennt keine Grenzen.« Dann richtet er den Blick auf mich. »Kommt, Demoiselle. Ich bin hier fertig.« Er ergreift meinen Ellbogen und zieht mich auf die Füße. Ohne einen weiteren Blick in Richtung seiner Familie verlassen
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