Grave Mercy Die Novizin des Todes
steigt träge aus dem Schornstein auf. Auf der Wäscheleine hängen einige fadenscheinige Kleidungsstücke.
Auf den Feldern hinter dem Haus arbeitet ein Mann, den Rücken gebeugt, während er mit dem harten Boden ringt. Obwohl er Rübenbauer ist, sät er im Winter Roggen aus. Es überrascht mich, wie alt er aussieht, wie ergraut sein Haar ist und wie gebeugt seine Schultern. Es ist, als hätte ihn nur sein Hass auf mich aufrecht gehalten. Jetzt ist das Ungeheuer meiner kindlichen Albträume nichts als ein gebrochener alter Mann, der sich müht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, während ich von einem Gott ausgewählt wurde, Seinen Willen zu tun.
Als spüre er meinen Blick auf sich, schaut der Mann auf, überrascht, vier Edelleute durch seine Felder traben zu sehen. Als er den Kopf neigt und an seiner Stirnlocke zupft, weiß ich, dass meine Verkleidung vollendet ist. Nicht einmal mein eigener Vater hat mich erkannt.
Duval bringt sein Pferd näher an meines heran. »Jemand, den Ihr kennt?«, murmelt er.
»Niemand von Bedeutung«, antworte ich, und zum ersten Mal begreife ich, dass es wahr ist.
Fünfundzwanzig
BEVOR DIE MAUERN DER Stadt in Sicht kommen, treffen wir auf einen Boten, der nach Duval Ausschau hält. Hauptmann Dunois hat ihn ausgeschickt, um uns mitzuteilen, dass der Bandit entkommen ist. Ich sehe Duval scharf an und frage mich flüchtig, ob das seine Absicht gewesen sein kann, mich lange genug aus der Stadt fortzulocken, damit unser Angreifer entkommen kann. Aber da er angesichts dieser Neuigkeit wirklich sprachlos ist, tue ich diese Idee gleich wieder ab.
Wir reiten mit aller gebotenen Eile nach Guérande und begeben uns sofort in die Kerker unter dem Palast.
»Und?«, fragt Duval, als er in die kleine Gefängniszelle tritt, die jetzt verlassen ist. Sie besteht aus vier soliden Mauern ohne Fenster und nur einer einzigen Tür. »Wie ist er entkommen?«
Der Hauptmann der Palastwache zuckt unbehaglich die Achseln. »Er war nicht gefesselt oder angekettet, und der Schlüssel hängt draußen am Haken. Jeder hätte die Tür öffnen können.«
»Aber warum? Das ist die Frage.«
Mit einigem Widerstreben tritt eine der Wachen beiseite, sodass auch ich den Raum betreten kann. Sobald ich in der Zelle stehe, weiß ich Bescheid. Der Tod ist zu Besuch gewesen; der Mann ist nicht lebend herausgekommen.
»Gnädiger Herr«, flüstere ich Duval zu. »Ich möchte gern allein mit Euch sprechen.«
Seine Augen weiten sich vor Überraschung. »Jetzt?«
»Jetzt.«
Begreifen malt sich auf seinen Zügen ab, und er nimmt mich beiseite.
»Er ist nicht entkommen«, murmele ich. »Er wurde zuerst getötet und anschließend von hier weggebracht.«
Seine dunklen Augenbrauen schnellen in die Höhe. »Ihr könnt das erkennen, einfach weil Ihr im Raum wart?«
Ich nicke.
Er kneift nachdenklich die Augen zusammen. »Das ergibt zumindest mehr Sinn.« Er wendet sich wieder den Wachen zu. »Findet alle, die innerhalb der letzten zwei Tage diesen Raum besucht haben, dann bringt mir eine Liste mit ihrem Namen.« Er seufzt schwer. »Lasst uns gehen und mit der Herzogin sprechen. Zumindest haben wir eine gute Neuigkeit, die wir gegen diesen jüngsten Rückschlag ins Feld führen können.«
Wir finden die Herzogin in ihrem Wintergarten, wo sie mit ihren Hofdamen und Madame Dinan ein Altartuch für die neue Kathedrale stickt. Auf einem Sofa neben ihr liegt ein junges Mädchen. Isabeau, ihre jüngere Schwester, ist zart und sieht zerbrechlich aus, und sie kann nicht älter sein als zehn. Die Gesichter beider Mädchen leuchten auf, als Duval den Raum betritt.
Er verneigt sich, und ich mache einen tiefen Knicks. »Euer Hoheit; gnädiges Fräulein Isabeau.«
»Hallo, Gavriel.« Isabeau lächelt ihn an. »Was holt dich hinter deinem stickigen Schreibtisch hervor?«
»Da die Sonne heute nicht scheint, dachte ich, ich will stattdessen Euer Gesicht sehen.«
Ich muss zweimal hinschauen, um mich davon zu überzeugen, dass dies derselbe Duval ist, mit dem ich hereingekommen bin, denn ich habe von seinen Lippen noch nie so hübsche Worte gehört, nicht einmal wenn er mit der Herzogin zusammen war. Aber die junge Isabeau wirft den Kopf in den Nacken und lacht, erheitert von seiner Schmeichelei. Es dauert nicht lange, da weicht ihr Gelächter einem Husten; es ist ein kräftiger, tiefsitzender Husten, der ihren zerbrechlichen Körper erzittern lässt. Sofort ist die Herzogin an ihrer Seite, massiert ihr den Rücken und versucht, sie zu
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