Graveminder
dachte er.
Amity warf ihm einen Blick zu, aber er schwieg, während sie die Flasche über das Glas hielt und ihm einen dreifachen Scotch einschenkte.
Er streckte ihr eine Kreditkarte entgegen.
Sie stellte das Glas mit einer Hand auf einen frischen Bierdeckel vor ihn hin und nahm mit der anderen die Karte entgegen.
»Es kommt wieder in Ordnung.«
»Was?«
Achselzuckend wandte sie sich zur Kasse um. »Alles.«
»Alles«, wiederholte er langsam.
Sie nickte, sah aber nicht auf. »Ja. Alles kommt wieder in Ordnung. Du musst daran glauben … Das tun wir alle, seit sie gestorben ist.«
Byron erstarrte. Amitys Worte betonten nur, wie wenig sie beide wirklich miteinander redeten. Er wusste kaum etwas über ihr Leben, ihre Interessen, sie selbst. »Maylene?«
»Ja.« Sie zog seine Karte durch das Lesegerät und stellte die Scotchflasche an den leeren Platz im Regal, während der Ausdruck lief. »Maylene gehörte zu den Guten.«
Byron hielt inne und trank. »Ist sie manchmal hergekommen?«, fragte er dann. »Ich habe sie nie gesehen.«
»Sie war hier, aber nicht oft.« Amity stützte sich kurz auf die Theke und sah ihn unverwandt an. »Eigentlich kannte ich sie vor allem über meine Schwester. Maylene hat an Stadtratssitzungen teilgenommen, und Bonnie Jean ist im vergangenen Jahr in den Rat eingetreten. Daher …«
Wieder sah Byron auf die Uhr. Rebekkahs Flieger musste inzwischen gelandet sein.
»Hey.« Eine sanfte Berührung riss ihn aus seinem Starren – Amity hatte eine Hand auf die seine gelegt. Er betrachtete sie, dann huschte sein Blick zwischen ihrer Hand und ihren Augen hin und her.
»Es kommt alles in Ordnung. Du musst daran glauben«, versicherte Amity ihm.
»Wieso scheinst du etwas zu wissen, das ich nicht weiß?«
»In Claysville haben die wenigsten die Möglichkeit, von hier wegzugehen wie du. Manchmal weiß jemand, der hier bleibt, etwas … mehr als diejenigen, die fortgehen konnten.« Sie tätschelte seine Hand. »Aber wahrscheinlich weißt du auch allerhand, wovon ich keine Ahnung habe.«
Byron zog die Hand nicht weg, aber er hielt inne. Für gewöhnlich ließ Amity das Gespräch oberflächlich dahinplätschern – wenn sie überhaupt miteinander redeten. Er nahm einen tiefen Schluck, damit er nicht gleich antworten musste.
»Entspann dich!« Sie lachte. »Keine Verpflichtungen, weißt du noch? Hast du das Gefühl, dass ich die Regeln ändere, ohne dich zu fragen?«
Als sie lachte, spürte er, wie seine Anspannung wich.
»Nein«, log er.
»Also … wenn ich zumache …« Sie ließ das Angebot in der Luft hängen.
Meistens blieb er, bis sie die Kneipe schloss, wenn er vorhatte, ihr Angebot anzunehmen. Doch an diesem Abend konnte er nicht. Es war töricht, sich schuldig zu fühlen, aber so war es. Er konnte nicht mit Amity zusammen sein, wenn Rebekkah in der Stadt war. Allerdings konnte er das Amity auch nicht sagen. Stattdessen lächelte er. »Ein andermal vielleicht?«
»Vielleicht.« Amity beugte sich über die Theke und küsste ihn auf die Wange. »Fahr zu ihr!«
Er umklammerte sein Glas, versuchte aber, eine neutrale Miene zu wahren. »Wen meinst du?«
Amity schüttelte den Kopf. »Rebekkah.«
»Rebek…«
»Du fühlst dich besser, wenn du weißt, dass sie sicher angekommen ist.«
»Woher …«
»Die Leute reden, Byron, besonders über euch beide.« Amitys Gesichtsausdruck blieb unverändert. »Sie selbst spricht nie von dir, nur damit du es weißt. Als du weg warst und sie zu Besuch kam, hat Maylene uns einander vorgestellt, und wir haben uns besser kennengelernt, aber sie hat dich nicht ein einziges Mal erwähnt.«
Einen Moment lang starrte Byron den Kreditkartenbeleg an. Am liebsten hätte er Amity gefragt, ob sie noch immer Kontakt zu Rebekkah hatte, ob Rebekkah wusste, dass er und Amity … Aber darauf kam es gar nicht an. Er schüttelte den Kopf. Rebekkah hatte sich vor Jahren vollkommen klar ausgedrückt, und seit diesem Abend hatten sie nicht mehr miteinander geredet. Byron unterschrieb den Beleg und steckte sein Exemplar der Quittung in die Tasche.
Er sah Amity an. »Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.«
»Wir beide reden auch nicht viel miteinander, Byron.« Sie lächelte.
»Ich bin …«
»Nein, bist du nicht «, erklärte sie bestimmt. »Ich will keine Worte, Byron, besonders keine leeren. Ich will, dass es so bleibt, wie es war. Besuch mich weiterhin, auch wenn Rebekkah in der Stadt ist.«
»Rebekkah und ich … Wir sind
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