Graveminder
das Heimkommen immer noch richtig an? Es fühlt sich richtig an, wenn ich diese Grenze überschreite. Diese ganzen kribbeligen Empfindungen, die ich überall sonst spürte, verschwinden, sobald ich an diesem blöden Ortsschild vorbeifahre.«
»Ich weiß.« Er schob die Schaukel erneut an, und die Ketten knarrten. »Ich habe keine Erklärung dafür … jedenfalls keine, die du hören willst.«
»Hast du eine andere?«
Er schwieg eine Weile. »Mindestens eine«, erklärte er dann. »Aber du magst es nicht, wenn ich davon anfange.«
9. Kapitel
Nicolas Whittaker war kein Mann, der durch die Straßen patrouillierte. Dafür hatte er seine Leute, die dieser Aufgabe nachgingen, während er in seinem behaglichen Bürgermeisterbüro wartete. Das ist die natürliche Ordnung der Dinge, dachte er. Er war in dem sicheren Glauben aufgewachsen, dass man in seiner Heimatstadt gesund und in Frieden groß werden konnte. Wenn er dafür ausgewählt wäre, Kinder zu haben, dann wären sie hier sicher. Sie würden in keine andere Stadt ziehen und dort überfallen und ausgeraubt werden. Sie würden keine dieser Krankheiten bekommen, an denen anderer Leute Kinder starben. Sie würden davor geschützt sein. Dafür hatten die Gründer der Stadt gesorgt. In Claysville gab es nur eine echte Gefahr für die Familie, die er eines Tages haben wollte – und auch nur dann, wenn es der Totenwächterin nicht gelang, diese Bedrohung in Schach zu halten.
Bürgermeister Whittaker trat zu der kleinen Mahagonibar, die sein Vater während dessen Amtszeit in das Büro hatte einbauen lassen. In dem leeren Raum klang das leise Klirren von Eis in seinem Glas übermäßig laut. Er schenkte sich einen weiteren Bourbon ein und dachte zerstreut, welches Glück es doch bedeutete, dass die Bürger der Stadt nicht alkoholkrank wurden.
Es klopfte an der Tür, und zwei der Ratsmitglieder traten ein, Bonnie Jean und Daniel. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war Bonnie Jean das jüngste Mitglied des Rats. Aufgrund ihrer Jugend besaß sie eine Furchtlosigkeit, die die anderen Mitglieder nicht hatten. Andererseits jedoch hatte sie dem Rat beim letzten Mal, als ein Problem aufgetreten war, noch nicht angehört.
Jetzt waren ihre Wangen gerötet und ihre Augen weit aufgerissen. »Wir haben draußen nichts … Sie wissen schon … Merkwürdiges gesehen.«
Hinter ihr schüttelte Daniel den Kopf.
»Wir haben die Flugblätter mit der Warnung vor Berglöwen ausgelegt«, setzte Bonnie Jean hinzu.
»Gut.« Nicolas lächelte ihr zu. Er konnte nicht anders – und sah auch keinen Grund, nicht zu lächeln. Sie war ein hübsches Mädchen, wenn auch nicht unbedingt für die Mutterschaft geeignet. Er hielt ein leeres Glas hoch. »Einen Drink zum Aufwärmen?«
Die junge Ratsfrau warf ihm ein strahlendes Lächeln zu, doch Daniel fing Nicolas’ Blick auf und zog eine finstere Miene. »Es ist schon spät, Bürgermeister.«
Nicolas hob die Brauen. »Ja, dann bis demnächst, Mister Greely.«
»Bonnie Jean sollte nicht allein gehen. Schließlich läuft da draußen ein Mörder herum, Sir.« Daniel trat einen Schritt vor, bis er neben Bonnie Jean stand. »Eine junge Frau sollte nicht …«
»Ähem, seht mal hier, Leute!« Bonnie Jean griff in ihre Handtasche und zeigte ihnen eine Achtunddreißiger, die in ihrer manikürten Hand lag.
»Verstehe«, murmelte Nicolas. »Vielleicht sollten wir die Dame bitten, uns zu begleiten, Daniel.«
Bonnie Jean lächelte. »Dan ist motorisiert, und er ist durchaus in der Lage, für sich selbst einzustehen. Wie sieht’s bei Ihnen aus, Bürgermeister?«
Mit dem gleichen Selbstdarstellungstalent, auf das er sich bei Versammlungen verließ, klopfte Nicolas seine Hosentaschen ab und öffnete seine Anzugjacke. »Ich fürchte, ich bin tatsächlich unbewaffnet, meine Liebe. Vielleicht benötige ich tatsächlich Ihren Schutz.« Er grinste. »Leider brauche ich noch eine Weile im Büro. Dürfte ich Sie bitten, auf mich zu warten?«
»Sie dürfen.« Sie wandte sich an Daniel. »Ich bin vollkommen in der Lage, mit allem fertigzuwerden, was da draußen« – sie warf Nicolas ein Lächeln zu – »oder hier drinnen lauert.«
Daniel musterte Bonnie Jean mit einem vielsagenden Blick – den sie übersah –, schüttelte den Kopf und ging. Sie folgte ihm bis zur Tür, küsste ihn auf die Wange und schloss die Tür hinter ihm.
Nicolas schenkte Bonnie Jean ein Glas Scotch ein und reichte es ihr.
10. Kapitel
Byron dachte an alles, was er Rebekkah
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