Graveminder
drängen ihr elektrische Impulse unter die Haut. Das ist alles Wirklichkeit, schoss es ihr durch den Kopf. Ihre Lippen öffneten sich, und sie stieß einen Seufzer aus, als Byron den Schrank beiseiteschob.
»O … mein … Gott«, hauchte sie. »Es ist …«
Voller Verlockung erstreckte sich der Tunnel vor ihr, und nur reine Willenskraft hinderte sie daran, sich hineinzustürzen. Stattdessen trat sie näher, so langsam sie konnte. Etwas in ihr summte, ein Lied, gesungen von tausend sanften Stimmen. Und in diesem Lied hörte sie ihren Namen.
Sie streckte die Hand aus – und stieß gegen eine Mauer.
Byron berührte ihr Gesicht. »Du machst mir Angst, Bek.«
Rebekkah zwang sich, den Blick vom Tunnel abzuwenden. »Warum?«
»Es gefällt mir nicht, wie gern du dem Tod entgegenzutreten scheinst. Es gibt Gründe, in dieser Welt glücklich zu sein, gute Gründe. Du musst dir nur gestatten, zu deinen Gefühlen zu stehen.« Byron beugte sich vor und küsste Rebekkah auf den Mund.
Sie legte ihm beide Hände auf die Brust, aber sie schob ihn weder weg, noch zog sie ihn an sich. Er umfasste ihre Hüften, und sie schmiegte sich in seine Umarmung.
Die Anspannung in seinem Körper ließ nach, und er zog sie an sich und küsste ihren Hals. »Ich habe dich schon vorher begehrt, vor dieser Woche, vor diesem Moment. Ob du es hören willst oder nicht – ich habe dich schon immer geliebt.«
Ehe sie Einwände erheben konnte, küsste er sie noch einmal. »Erinnere dich!«, setzte er hinzu, als er sich von ihr löste. »Bitte erinnere dich daran, was wir beide seit Jahren wissen, Bek! Selbst wenn wir nicht wären, was wir sind, würde ich dich lieben. Ich hatte furchtbare Gewissensbisse, aber ich habe schon damals an dich gedacht … vor Jahren. Du warst Ellas Schwester, deswegen hatte ich Schuldgefühle, aber ich konnte nicht anders – ich wünschte mir immer, dir näher zu sein. An dem Abend, als du mich geküsst hast … Wäre ich mit einer anderen zusammen gewesen, hätte ich nicht versucht, mit ihr zu reden, bevor ich mit dir über meine Gefühle sprechen wollte. Aber es war Ella. Ich musste zuerst mit ihr reden, und dann … dann war sie nicht mehr da, und du wolltest nichts hören. Jedes Mal, wenn ich darauf zu sprechen komme, wehrst du mich ab. Aber jetzt muss ich es dir sagen. Ich will für immer mit dir zusammen sein. Ich liebe dich. Und du liebst …«
»Nein! Hör auf!« Rebekkah packte ihn am Arm.
Er legte die Hand um ihre Wange und sprach weiter, als hätte sie nicht protestiert. »Ich liebe dich, und du liebst mich. Das wissen wir beide. Das Problem ist nur, dass du dich dagegen wehrst.«
Sie starrte ihn an. Es war keine Liebe. Sie empfand vieles für ihn. Sie waren Freunde, sie hatten miteinander geschlafen. Es war keine Liebe. Er hatte es einmal ausgesprochen, aber seit diesem ersten Mal hatte er es vermieden. Keine Liebe. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Byron. Du bist durcheinander.«
»Ja, aber das ändert nichts an den Tatsachen.« Mit dem Daumen liebkoste er ihre Wange. »Lüg mich später an, wenn du das Bedürfnis hast, aber in diesem Moment, kurz bevor wir dort hinübergehen, musst du mir zuhören. Ich weiß es. Ich weiß es seit Jahren, Bek. Du liebst mich genauso wie ich dich. Du musst aufhören, uns beide anzulügen.«
Sie starrte ihn an und versuchte, Worte zu finden, die das Gegenteil bewiesen. Doch ihr fiel nichts ein. »Du bist verwirrt«, sagte sie schließlich. »Ich will dich nicht verletzen. Ella ist tot. Wir haben … und dann hat sie … du gehörst zu ihr. Ich verdiene dich nicht …«
Er seufzte. »Sie hat sich nicht unseretwegen umgebracht. Und selbst wenn es so gewesen wäre – glaubst du wirklich, sie hätte etwas dagegen gehabt, dass wir zusammenkommen? So war sie nicht, und das weißt du genau.«
Tränen liefen Rebekkah übers Gesicht. In neun Jahren hatten sie nie darüber geredet. Sie wollte, sie konnte nicht einmal den Gedanken an ein solches Gespräch ertragen. »Du hast nicht mir gehört, und sie war meine Schwester. Was ich empfinde, ist keine Liebe. Das kann nicht sein. Niemals. Ich habe kein Recht …«
»Mich zu lieben?« Byron nahm ihre Hände. »Aber du liebst mich, und es wird allerhöchste Zeit, dass du das zugibst. Unsere Beziehung hat nichts mit ihr zu tun … oder mit irgendetwas anderem. Dabei geht es um uns . Denk daran!«
Da standen sie, am Eingang zum Land der Toten, und sie dachte über seine Worte nach. Sie mochte ihn. Aber es war noch
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