Graveminder
zu beantworten. Jetlag, Maylenes Beerdigung, Dads Tod, die Reise in Charlies Welt, Schüsse … Wir haben einiges hinter uns. Ein paar Stunden Schlaf wären im Augenblick die beste Lösung.«
Einen Moment lang verharrte Rebekkah in ihrer Haltung, dann stand sie auf. »Du hast recht. Ich gehe noch schnell duschen.«
Sie kam sich dumm vor, als sie ihm den Rücken zuwandte. »Könntest du das hier aufmachen?«
Sie öffnete die Schließe zwischen ihren Brüsten und schüttelte das Oberkleid ab. Dann strich sie das Haar über eine Schulter nach vorn und blickte starr vor sich hin.
Als seine Hände ihren Rücken berührten, sog sie jäh den Atem ein. Beide erstarrten sekundenlang, und sie hatte das Gefühl, er müsse ihren Herzschlag hören. Dann öffnete er vorsichtig die Reihe von Häkchen und Ösen, die über ihr Rückgrat verlief. Ihre Finger krampften sich in das transparente Oberkleid, das sie in der Hand hielt.
Als das Kleid im Rücken offen war, drückte er ihr einen einzigen Kuss auf den Nacken. Sie erschauerte und sah ihn über die Schulter an.
Sag es ihm schon!, raunte eine innere Stimme. Sprich es aus!
Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, trat von ihm weg – und flüchtete.
37. Kapitel
Byron hörte, wie oben das Wasser aufgedreht wurde, und ging mit sich zu Rate, ob es töricht wäre, Rebekkah zu folgen. Im Gegensatz zu ihr war es ihm vollkommen gleichgültig, warum sie zusammen waren. Für ihn zählte nur, dass es so war. Er hatte sein ganzes Leben damit verbracht, auf sie zu warten, aber wenn er über Graveminder und Undertaker Bescheid gewusst hätte, hätte er sie lieber aufgegeben, als sie in Gefahr zu bringen. Sie hatten keine andere Wahl. Durch den Vertrag waren sie bis zum Tod miteinander verbunden. Was es nicht eben wahrscheinlicher machte, dass Rebekkah sich zu ihren Gefühlen bekannte. Sie war die Totenwächterin – aber sie war trotzdem noch dieselbe Frau, die es hasste, in der Falle zu sitzen, dieselbe Frau, die zugelassen hatte, dass ihre tote Schwester jahrelang zwischen ihr und Byron stand. Dieselbe Frau, die sich so sehr davor fürchtete, geliebte Menschen zu verlieren, dass sie ihre Gefühle verleugnete. Sie war dieselbe Frau, die er seit Jahren liebte. Und von nun an würde sie für den Rest ihres Lebens in Gefahr schweben. Er war sich nicht sicher, was erschreckender war – Rebekkahs Verletzlichkeit im Land der Toten oder der Umstand, dass in Claysville ein totes Mädchen umging und Menschen tötete. Rebekkah diente in beiden Welten als Zielscheibe.
Wie hast du das nur geschafft, Dad?, fragte er sich.
Innerhalb weniger Tage hatte sich sein ganzes Leben verändert – es hatte ihm den größten Wunsch erfüllt, nämlich eine Zukunft mit Rebekkah. Und zugleich wurde diese Zukunft von Gefahren bedroht, die alle Vorstellungen sprengten. Er überprüfte die Türen, stellte sich ans Erkerfenster im Wohnzimmer und spähte ins Dunkel hinaus. Daisha konnte sich ganz in der Nähe dort draußen herumtreiben, und er erkannte sie nicht. Jeden Augenblick konnte sie jemanden töten. Und sie würde Menschen umbringen.
Er nahm das Tagebuch zur Hand und blätterte darin.
Hätte Mae gewusst, dass Lily tot war, wäre nichts von alldem passiert. Was ist das für ein Mann, der den Tod seiner Frau verschweigt? Er hat Lily bei sich behalten, und deswegen ist sie zurückgekommen. Es hat Mae das Herz gebrochen.
Byron blätterte zu einem weiteren Abschnitt.
Charlie hat sich geweigert, mir zu verraten, warum Alicia so zornig ist. Aber sie ist nicht viel besser. Sie hat mich ein paarmal in die Irre geführt, doch die meisten ihrer Informationen sind nützlich …
Es war atemberaubend, wie viele Geheimnisse das schmale Buch barg. Byron überflog die Seiten und suchte nach Charlies Namen.
Nick ist ein Esel. Ginge es nach ihm, zögen die Geistlichen nach Claysville, ohne über den Vertrag informiert zu sein. Seiner Meinung nach haben die Stadtbewohner auch keine Ahnung davon, wenn sie Kinder bekommen. Warum also sollten die Geistlichen Bescheid wissen? Der Unterschied liegt jedoch darin, dass die Stadtbewohner hier gefangen sind. Für Neuankömmlinge gilt das nicht. Wenn sie nicht hier geboren sind, können sie kommen und gehen, wann und wie sie wollen.
Als ich Ann von der stürmischen Ratssitzung erzählte, sprach sie das Thema Kinder an. Wir dürfen ein Kind bekommen, wann immer wir wollen. Undertaker müssen nicht auf Erlaubnis warten. Wie kann ich dies an meinen eigenen Sohn
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