Gray Kiss (German Edition)
mich von ihm loszumachen, und schubste ihn weg, so fest ich konnte.
Aber es war zu spät. Der Hunger, der mich die ganze Zeit, seit ich im Crave war, gequält und der sich zu einem nicht mehr zu ignorierenden Verlangen ausgewachsen hatte, während Bishop neben mir stand, dieser Hunger, der geduldig gewartet hatte, bis Colin mir alles mitgeteilt hatte, was in seinem Kopf vorging …
Er war nicht mehr zu kontrollieren.
Die hämmernde Musik erstarb. Die funkelnden Lichter verblassten. Der Club schien sich um mich herum aufzulösen. Mein Verstand war ausgeschaltet. Und mein Hunger übernahm.
Das war kein normaler Kuss mit einem betrunkenen Jungen, der mich mochte und sauer war, dass seine Gefühle auf keine Gegenliebe stießen. Nein, bei diesem Kuss ging es nur um eins: den Hunger zu stillen. Ich hatte keine Seele mehr und versuchte daher permanent, die Seele einer anderen Person zu verschlingen.
Genau davor hatte ich mich am meisten gefürchtet. Ich wollte niemandem wehtun. Doch genau das tat ich gerade.
Mich von Colin zu nähren, kam mir trotzdem so natürlich vor. In diesem hirnlosen Zustand war es einfach das Natürlichste auf der Welt - nicht gut, nicht schlecht. Und mit jedem Stückchen Seele, das ich in mich hineinsaugte, spürte ich, wie sich eine herrliche Wärme in meinem Innern ausbreitete, die die schreckliche, endlose Kälte davonjagte. Meine Gedanken, ich könnte Colin verletzten, verschwanden. Ich würde so lange seine Seele verschlingen, bis ich satt war. Und da ich eigentlich noch kaum etwas zu mir genommen hatte, würde das sehr lange dauern.
Doch da fasste mich plötzlich jemand am Oberarm und riss mich von Colin weg. Colin taumelte nach hinten und kippte in eine Nische. Dünne schwarze Linien hatten sich um seinen Mund gebildet, und seine Haut war grauenhaft weiß. Seine Augen waren glasig, und seine Brust hob und senkte sich rasend, als würde er nach Luft schnappen.
Ich habe nicht alles genommen. Nur ein kleines Stückchen …
Der Griff um meinen Arm verstärkte sich, und sowie ich mich umwand, entdeckte ich Kraven, der kopfschüttelnd vor mir stand.
„Jetzt mal im Ernst“, meinte er. „Dich kann man echt keine Sekunde allein lassen, oder?“
„Lass mich los!“ Momentan folgte ich nur einem animalischen Trieb. Und der sagte mir, dass ich noch Hunger hatte. Ich starrte Colin an. „Ich brauche mehr.“
„Du brauchst mehr?“ Kraven umfasste mein Kinn und drehte mein Gesicht zu ihm. „Dann versuch das mal!“
Er zog die Hand von meinem Arm und küsste mich gierig. Automatisch versuchte ich, von seiner Seele zu trinken, aber da war nichts. Normale Dämonen wie Kraven besaßen keine Seele. Das war der Beweis. Da es keine Seele gab, war das bloß ein ganz normaler Kuss.
Und trotzdem sättigte er mich irgendwie. Auch ohne Seelenfutter schien mein Hunger immer weniger zu werden.
Da endete der Kuss. Sehr abrupt.
„Was zum Teufel tust du da mit ihr?“, hörte ich Bishops verärgerte Stimme. Er packte Kraven und schleuderte den Dämon an die Wand.
Bishops Augen funkelten hellblau. Das passierte manchmal. Er hatte mir erklärt, dass himmlische Energie in ihm aufstieg, sobald er sich aufregte. An der intensiven Färbung seiner Augen gemessen, musste er sich gerade sehr aufregen.
Langsam wurde ich wieder klar im Kopf, wenn auch nicht ganz so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich taumelte nach hinten und landete in der Nische gegenüber von Colin, der sich langsam wieder erholte. Ein schneller Blick versicherte mir, dass niemand im Club sich für uns interessierte.
Kein schlechter Trick von den Engeln und Dämonen. Sie konnten sich vor den Augen anderer verbergen, falls Probleme auftraten.
Kraven stieß Bishop weg. „Tut mir leid, aber deine kleine Freundin brauchte Hilfe.“
„So sieht deine Form von Hilfe aus?“
„Es hat funktioniert, oder nicht?“
Ich schaute zu Colin. Ich war jetzt wieder Herr meiner Sinne und hatte alles unter Kontrolle. Schuldgefühle und Ekel prasselten auf mich nieder. Was hatte ich getan? Die schwarzen Linien um Colins Mund waren verschwunden, doch seine Augen waren immer noch glasig. Jedes Gray-Opfer schien eine kurze Trancephase durchzumachen, wenn sich jemand an seiner Seele gelabt hatte. Da ich auch die Opferseite kannte, wusste ich, dass es sich wesentlich besser anfühlte, als es aussah. Aufregend, erregend, wunderbar - so, wie sich ein guter Kuss nun mal anfühlt.
Und trotzdem war an diesem Kuss gar nichts gut. Wenn ich nämlich
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