Gray Kiss (German Edition)
gewisser Weise. Denn es heißt, dass du nicht du selbst warst.“
„Trotzdem habe ich es getan. Ich, kein anderer. Wie du selbst gesehen hast.“
Ich versuchte zu verstehen, aber es gelang mir nicht. „Ganz egal, was du gemacht hast, du bist ein Engel. Deine Seele war nicht böse genug, um zum Dämon zu werden. So schrecklich es auch gewesen sein mag, es muss die richtige Entscheidung gewesen sein. Du hast es mir selbst gesagt - Kraven zu töten und ihn in die Hölle zu schicken, half dir, ein Engel zu werden. Dafür muss es einen Grund geben.“
„Den gibt es auch.“ Bishop holte tief Luft und atmete langsam aus. „Jemand war bei mir. Jemand, der ein gutes Wort für mich einlegte. Und das war jemand, der Seelen auch zur Hölle schickte, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte.“
„Und wer war das?“
Er sah mich an, als wollte er gerade, dass ich mich voller Ekel von ihm abwandte. Aber dazu hatte ich in letzter Zeit zu viele abstruse Dinge erlebt. Ich war bereit für mehr. Ich kam mir vor wie ein Packesel für übernatürlichen Wahnsinn.
„Mein Vater“, sagte er schließlich.
Ich blinzelte überrascht. „Dein Vater?“
Bishop nickte. „Mein Vater war wie deine leibliche Mutter ein Engel. Und das war mein Glück, denn sonst wäre auch ich verdammt gewesen.“
„Dein Vater war ein Engel?“ Vielleicht war mein Packeselrücken doch nicht so stark, wie ich glaubte.
„Ja. Drücken wir es mal so aus, meine Mutter hatte kein festes Beuteschema, was Männer betraf.“ Er schüttelte den Kopf und wirkte, als wäre ihm gerade bewusst geworden, dass er zu viel verraten hatte. „Komm, ich bringe dich nach Hause.“
Ich brauchte mehr Zeit, mehr Informationen. Aber für Bishop war jetzt Schluss. Ehrlich gesagt, hatte ich noch nie so viel aus ihm herausbekommen. Das war Irrsinn, aber auch ein echter Fortschritt.
Draußen wartete Cassandra, und wir liefen alle gemeinsam zu meinem Haus. Dort fühlte es sich sehr seltsam an, dass Bishop durch die Vordertür hineinspazierte. Es war viel zu profan für ihn, fand ich.
Zu ihm passte es viel besser, wenn er durchs Schlafzimmerfenster kam.
„Ich sterbe vor Hunger“, meinte Cassandra. Auf dem Weg hatte sie kaum gesprochen und blass ausgesehen. Jetzt, da uns bekannt war, wieso sie wirklich hier war, konnte ich nicht einschätzen, was in ihr vorging. Als ich sie ansah, um herauszufinden, was sie dachte, musste ich feststellen, dass sie eine Barriere um ihre Gedanken errichtet hatte - undurchdringlich.
Sie verschwand rasch in der Küche und ließ mich und Bishop allein.
„Gehen wir auch auf die Party?“, fragte ich.
„Nein. Die anderen sondieren die Lage. Wir beide statten lieber dem Ambrosia noch einen Besuch ab und suchen Stephen. Irgendjemand dort muss wissen, wo er ist.“
Er begann, sich im Flur umzuschauen, betrachtete den Läufer, die Garderobe, die gerahmten Fotos von meiner Mom und mir.
„Ziemlich langweiliges Zeug, was?“, kommentierte ich, weil mir diese Anhäufung von Alltäglichkeiten auf engstem Raum peinlich vor ihm war.
Er sah mich an. „Wohl kaum. Für mich ist das alles sehr interessant.“
Meine Wangen schienen zu glühen. Seine Seele und mein Hunger, ich spürte beides sehr stark, hoffte allerdings, mich im Griff zu haben.
Die Ruhe vor dem Sturm, dachte ich. Es wird kurz besser, bevor es schlimmer wird .
Wie pessimistisch.
Nein, realistisch. Das war ein großer Unterschied.
„Du hast gesagt, du wolltest mich nicht aus den Augen lassen“, meinte ich vorsichtig.
Er wandte den Blick nicht von mir ab. „Genau das habe ich gesagt, ja.“
„Es gibt da nur ein Problem.“
„Was?“
Ich zog meine Jacke aus und hängte sie an der Garderobe auf, wie unzählige Male vorher. „Ich muss dringend unter die Dusche.“
Fragend musterte er mich. „Okay. Dann beeil dich aber, damit ich mir keine Sorgen machen muss.“
„Tu ich.“ Rasch drehte ich mich um, damit er nicht bemerkte, wie ich rot wurde, und rannte die Treppe in den ersten Stock hinauf.
Bevor ich unter die Dusche stieg, hörte ich kurz meine Mailbox ab. Meine Mom hatte mir drauf gesprochen und erzählt, wie sehr sie ihren Urlaub genoss. Außerdem war da eine Nachricht von Kelly, die mir die Adresse für Noahs Halloweenparty durchgab. Sie hoffte, ich würde da sein, sagte sie, obwohl man mich in letzter Zeit ja nicht sehr oft zu Gesicht bekommen hätte. Von der Schule hatte niemand angerufen. Ich war zwei Tage nicht da gewesen, aber offensichtlich war das nicht so
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