Gray Kiss (German Edition)
schlimm. Vermutlich nahm man an, ich wäre krank. Ich war erleichtert.
Kaum dass ich die Nachrichten abgehört hatte, öffnete sich meine Schlafzimmertür. Ich unterdrückte ein Lächeln.
„Ich war nur fünf Minuten weg, und schon schaust du nach mir?“ Als ich mich zur Tür umdrehte, stand da allerdings Cassandra - nicht Bishop.
„Alles klar bei dir?“, erkundigte ich mich, denn sie sah ziemlich erschüttert aus.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte nicht, dass das alles passiert.“
Ich schluckte. „Könntest du bitte etwas genauer werden? Ich meine, es ist eine Menge passiert.“
„Das mit dem Engel, den ich finden sollte. Wie viel Schaden sie angerichtet hat, wie viele Leben sie zerstört hat, nachdem sie aus dem Schwarz geflohen ist.“
„Das ist doch nicht deine Schuld“, tröstete ich sie.
„Aber es fühlt sich so an.“
Ich trat auf sie zu, nahm ihre Hände und drückte sie. „Ist es aber nicht. Schuld daran ist nur sie allein. Sie ist gestört. Ernsthaft gestört. Das ist ihre Lösung, mit ihrer Störung zurechtzukommen. Kennst du eine Möglichkeit, wie wir ihr helfen könnten, ohne die Person zu töten, in deren Körper sie sich aufhält?“
„Ich versuche, mir etwas einfallen zu lassen. Aber ich weiß nicht.“
„Können wir denn mit ihr sprechen? Ist sie vernünftigen Argumenten gegenüber zugänglich?“
„Das hoffe ich.“ Cassandra blinzelte, ihre Augen glänzten feucht. „Doch es ist nicht nur das. Ich bin auch wegen Roth total durch den Wind.“
Ich musterte sie misstrauisch. „Was ist mit ihm?“
„Ich kann dir gar nicht erklären, was ich empfinde. Bis vor Kurzem konnte ich es kaum ertragen, mit ihm im selben Raum zu sein, so sehr ging er mir auf den Geist. Dabei bin ich normalerweise total ausgeglichen. Man lobt mich für meine Gelassenheit und mein professionelles Auftreten. Das war immer so!“
„Das hat sich sicher nicht geändert“, stimmte ich ihr zu.
„Aber er lenkt mich ab. Er ist der Grund dafür, warum ich mich nicht so sehr wie nötig auf meine Mission konzentrieren konnte.“ Sie runzelte die Stirn. Dann entspannten sich ihre Gesichtszüge ein wenig. „Was rede ich da? Bin ich gerade dabei, ihm die Schuld zuzuschieben? Es ist nicht sein Fehler. Aber er … er kommt mir äußerst ungelegen.“
Ich musste lachen. „Ja, so ist das nun mal mit Jungs. Ganz egal, was sie sind.“
Cassandra schaute mich direkt an. „Als er mich gestern Abend zum ersten Mal küsste, gab ich ihm eine Ohrfeige. Echt fest. Doch er lachte nur und küsste mich noch mal. Und diesmal …“
„Hast du ihn zurückgeküsst“, fiel ihr ins Wort.
„Er will bestimmt, dass ich wie ein Trottel dastehe“, flüsterte sie mit gequälter Miene. „In Wirklichkeit mag er mich gar nicht.“
„Falsch. Er mag dich.“ Wieso sollte ich ihr etwas anderes erzählen? „Ich habe seine Gedanken gelesen. Ich konnte sehen, dass er verwirrt ist, ganz genau wie du. Es sind echte Emotionen, bei euch beiden. Nicht ganz einfach, allerdings echt.“
Diese Bestätigung schien sie nicht wirklich glücklicher zu machen. Wenn überhaupt möglich, sah sie nur noch trauriger aus. „Das ist ja alles schlimmer, als ich dachte.“
Mir wurde schwer ums Herz, und ich umarmte sie. „Mach dir keine Sorgen. Niemand muss wissen, dass du die Regeln gebrochen hast. Ich werde es auf jeden Fall niemandem verraten. Alles gut.“
„Das ist es nicht.“
Ich lehnte mich zurück. „Was dann?“
Sie wischte sich die Augen, dann blickte sie mich wieder an. „Warte. Du kannst auch Gedanken lesen, sagst du? Das heißt, das hast du bei Bishop getan? Und du bist in seine Erinnerungen eingedrungen? Wie funktioniert das?“
Ich hatte angenommen, sie wüsste es längst. Mein Herz schlug wie wild. Eigentlich wollte ich Geheimnisse niemandem preisgeben. Obwohl ich diese Fähigkeit nicht für ein Geheimnis gehalten hatte. „Es ist eher eine Art übernatürliche Intuition“, behauptete ich. „Ich glaube, Jordan geht es genauso.“
Cassandra musterte mich ein wenig zu intensiv. Ich konnte förmlich sehen, wie sie nachdachte. Dann riss sie schockiert die Augen auf. „Samantha! Bist du etwa ein Nexus?“
Ich hielt die Luft an. „Was für ein Ding?“
„Das würde alles erklären! Keine Ahnung, warum ich nicht schon längst darauf gekommen bin. Aber … Wenn das stimmt … Wie kannst du dann ein Gray sein?“
Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben und sie eher verwirrt als panisch anzuschauen. „Wovon sprichst du da?
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