Gray Kiss (German Edition)
von Stephen.“
Bishop sah mich an. „Wolltest du, dass wir ihn leben lassen?“
Ich betrachtete das tote Mädchen und hatte plötzlich einen Kloß im Hals. „Nein. Er war ein Monster. Aber ich … Ich verstehe nicht, wieso er so stark war.“
Bishop wandte sich von Cassandra ab und stellte sich genau vor mich. Ich starrte auf den Boden und spürte seinen Blick auf mir. Endlich schaute ich ihm in die Augen. Er hob die Hand, als wolle er mich berühren, doch dann ließ er sie wieder sinken und ballte sie zu einer Faust. „Ich habe so etwas auch noch nie gesehen. Wenn sie zu viele Seelen aufnehmen … Vielleicht werden sie erst übermenschlich stark, bevor sich ihr Hirn verabschiedet.“
„Möglicherweise stand er kurz vor der Transformation“, vermutete Roth. „Vielleicht war das das letzte Aufbäumen seiner Kraft, bevor sich alles verabschiedete.“
„Ich bin jedenfalls froh, dass Cassandra bei dir bleibt“, meinte Bishop. „Sie kann dich beschützen.“
„Zumindest tu ich mein Bestes“, fügte Cassandra leise hinzu.
Man konnte eigentlich nicht sagen, dass sie mich eben beschützt hatte - und sich selbst auch nicht. Wäre Bishop nicht auf der Bildfläche erschienen, hätte mich der Gray einfach mitgenommen. Aber ich konnte ihr keinen Vorwurf machen. Die Stärke des Grays hatte uns alle überrascht.
„Geht jetzt nach Hause und ruht euch aus“, sagte Bishop. Und zu Cassandra gewandt: „Wir sprechen uns morgen.“
Sie nickte. „Und danke noch mal für eure Hilfe. Ich dachte, wir wären auf uns gestellt.“
„Nee, Bishop stellt mir nach. Natürlich nur aus sicherer Entfernung. Er ist mein Stalker“, erklärte ich ihr. „Man bemerkt ihn kaum, wirklich.“
Er sah mich an, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich bin kein Stalker. So was würde ich nie tun.“
Bei seinem Lächeln durchlief mich ein wohlig warmes Gefühl. „Ein Stalker sein. Jemandem nachstellen. Jemanden verfolgen. Vielleicht solltest du dir mal ein Wörterbuch zulegen, mein Engel.“
„Ach ja: Gern geschehen.“
Wieder brannten meine Wangen, diesmal aus einem völlig anderen Grund. „Danke.“
Endlich gelang es mir, den Blick von ihm abzuwenden und davonzugehen. Nach einem Block hatte Cassandra mich eingeholt. Wir tauschten einen Blick, und mir fiel auf, dass sie viel ernster aussah als vorhin, nachdem wir die Kirche verlassen hatten.
„Alles klar?“, fragte ich.
Sie nickte stumm und schaute stur nach vorn.
Auch für einen Engel mussten ein gebrochener Rücken und eine Heilung eine traumatische Erfahrung sein. Ich hatte eigentlich vorgehabt, sie nicht zu mögen, vor allem, weil sie sich so an Bishop heranschmiss. Aber das gelang mir nach den Geschehnissen von eben nicht mehr.
Ich will damit nicht sagen, dass ich sie auf einmal mochte, doch sie nur wegen ihrer blonden Haare und ihres perfekten Aussehens zu verachten, war mir auch zu billig.
Ich wusste es nicht genau, dennoch war ich mir ziemlich sicher, dass Bishop uns in sicherer Entfernung zu meinem Haus folgte.
Das mit dem Stalker hatte ich eben nur zum Spaß gesagt.
Eigentlich war er mein Schutzengel.
7. KAPITEL
An diesem Abend war so viel passiert. Deshalb konnte ich kaum glauben, dass es erst kurz nach einundzwanzig Uhr war, als wir an dem kleinen Haus ankamen, in dem ich mit meiner Mutter lebte.
Trautes Heim, Glück allein. Ich muss sagen, dass allein der Anblick unseres Hauses half, meine Nerven zu beruhigen. Trotz der Person, die bei mir war.
Ich wohnte hier mein Leben lang. Erst die Jahre mit meinen beiden Eltern, seit der Trennung nur noch mit meiner Mutter. Mein Vater lebte jetzt in England. Ich sah ihn nur sehr selten. Auch E-Mails von ihm kamen inzwischen seltener als früher.
Aber ich hatte beschlossen, nicht weiter darüber nachzudenken. Das würde mich nur traurig machen.
„Da sind wir“, erklärte ich und blieb am Ende der Einfahrt stehen. Der Wagen meiner Mutter war da. Offensichtlich legte sie heute Abend keine Spätschicht ein. Wunder geschehen.
Cassandra war den Rest des Weges sehr schweigsam gewesen, irgendwie gedankenverloren. Ihre Miene verriet nichts darüber, was in ihrem Kopf vorging, dass gerade ein Gray ihr den Rücken gebrochen hatte und sie jetzt freiwillig bei einer anderen Gray einzog.
Da wir uns nicht unterhielten, hatte ich unweigerlich an das Opfer des anderen Grays denken müssen. Gerade noch war sie überwältigt vom Kuss eines aufregenden Fremden - und gleich darauf wich dieses Gefühl dem, dass ihr Leben
Weitere Kostenlose Bücher