Gray Kiss (German Edition)
auch nur eine Miene zu verziehen. Was ging hier vor sich?
Bishop wollte sich hochrappeln, doch der Kerl trat auf seine gebrochene Schulter. Bishop ließ ein Wut- und Schmerzensgeheul los.
Ohne lang nachzudenken, griff ich den Gray an.
„Halt dich da raus, Samantha!“, hörte ich Bishop rufen. „Komm nicht näher!“
Meine Schritte verlangsamten sich. Ich zitterte, als ich die Straße absuchte in der Hoffnung, dort eine brauchbare Waffe zu entdecken.
Der Gray lachte laut und schaute mich an. „Wollen wir verschwinden?“
Nein. Ich wollte ihn umbringen. Bishop verletzt dort liegen zu sehen, hatte etwas entfacht, das tief in mir geschlummert hatte - etwas, das rotsah und Schmerzen zufügen wollte.
Doch bevor ich noch einen Schritt machen konnte - gegen Bishops Willen - flog der goldene Dolch durch die Luft und traf den Gray mitten in der Brust. Er schrie vor Schmerzen, riss die blutige Waffe heraus und warf sie fort.
Ich drehte mich um, um herauszufinden, wer sie geworfen hatte. Zach war hier, er kauerte neben Cassandra. Seine Augen glühten hellblau in der Dunkelheit.
Zach hatte perfekt gezielt. Ich dachte, er wäre ein friedfertiger Engel, der Kinder vorm Ertrinken rettete und Wunden heilte.
Aber im Notfall war auch er ein todbringender Krieger.
Für eine Schrecksekunde hatte ich befürchtet, der Dolch würde bei dem Gray keine Wirkung zeigen. Vielleicht hatte er nicht nur diese Superkraft, sondern war auch unsterblich und allmächtig.
Zum Glück nicht.
Er sank auf die Knie. Sein weißes Hemd war voller Blut. Hasserfüllt starrte er mich an.
„Sieh gut zu“, keuchte er. „So sieht deine Zukunft aus, ob du willst oder nicht. Bald werden sie auch dich töten.“
Ein Schauder durchfuhr ihn, dann kippte er nach vorne.
Ich konnte kaum so schnell gucken, da tat sich schon das Schwarz auf und verschlang ihn.
Diesen Vorgang hatte ich schon zwei Mal miterlebt. Beide Male hatte ich eine solche Angst gehabt, dass ich zu nichts mehr fähig war.
Ein schwarzer, wirbelnder Strudel, der aus dem absoluten Nichts auftauchte - das war nicht gerade ein normaler Anblick. Das Schwarz öffnete sich wie ein hungriger Schlund und saugte alles Übernatürliche auf, was in seinen Weg geriet. Es wurde vom Tod angelockt und von Blut, allerdings schien es keinen Unterschied zwischen Lebenden und Toten zu machen. Wenn man ihm zu nah kam, hatte man ein echtes Problem.
Der Gedanke, dass Carly irgendwo da drin war und noch lebte, war eine Qual für mich. Ich hatte nur leider keine Ahnung, wie ich sie da rausholen sollte.
Der Gray war dem Schwarz am nächsten. Mit fingerartigen Ranken aus lebender Dunkelheit griff das Schwarz zu wie eine schreckliche Hand und zerrte den Gray in seinen Strudel hinein. Diesmal erschien es mir stärker und größer. Vielleicht hatte es durch die vielen übernatürlichen Wesen in seinem Innern irgendwie zugenommen. Dann waberte es hin und her, um die Umgebung zu sondieren, und mir war, als würde es mich anstarren. Ich schwöre euch, das Schwarz sah mich direkt an.
„Carly!“, kreischte ich. „Carly! Wo bist du?“
Vielleicht konnte sie mich ja hören. Vielleicht …
Das schreckliche, sich drehende Maul näherte sich mir immer mehr … Zentimeter um Zentimeter …
Gerade noch rechtzeitig zog Bishop mich weg, die Zähne vor Schmerz fest zusammengebissen. Das reichte, um mich aus meiner Trance zu reißen. Ich hielt mich an ihm fest. Das Schwarz würde nicht zögern, mich zu verschlingen. Das hatte es schon einmal versucht, und irgendwie hatte ich das Gefühl, es könnte verärgert sein, weil es nicht funktioniert hatte.
„Wir werden Carly finden“, rief Bishop, den ich wegen des lauten Tosens kaum verstehen konnte. „Aber nicht heute Nacht. Ich will dich nicht auf diese Art verlieren!“
Zu meiner Rechten bot sich ein schauriger Anblick. Die bewusstlose Cassandra rutschte über den Bürgersteig auf den Strudel zu, der nun von mir abgelassen hatte. Jetzt streckte es seine Finger nach ihr aus, seine schwarzen, rauchigen Finger hatten bereits ihren Knöchel gepackt.
Doch wie aus dem Nichts sauste da Roth durch die Luft und warf sich auf Cassandra. Er rollte mit ihr außer Reichweite.
Da er nun niemanden mehr sah, den er einsaugen konnte, wurde der Strudel immer kleiner und kleiner, bis er schließlich vollkommen verschwand. Das donnernde Getöse, das sich anhörte wie ein Tornado, war wie auf Knopfdruck nicht mehr zu hören.
Ich klammerte mich immer noch an Bishop fest. Er machte sich
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