Grayday
er schließlich den Zustand dieses vorübergehenden Atemstillstands nicht mehr ertragen konnte, passierte etwas. Innerhalb von drei Tagen kamen Salim und Rohit in Firmen unter, der eine in Los Altos, der andere in Menlo Park. In dem kleinen Haus in der Nähe des Highway 101 wurde mit Johnny Walker und Häagen-Dazs gefeiert. Zwei Tage darauf war Arjun an der Reihe. Der Unternehmer hatte eine Fischverarbeitung irgendwo in Portland Maine und brauchte jemanden, der eine Datenbank umorganisieren konnte. Man wollte, dass er am Montag anfing. Das, sagte er, sei kein Problem.
Bis er das Flugticket sah und merkte, dass er mit Zwischenstopp in Chicago flog, hatte er gedacht, »main« müsse so was Ähnliches wie »zentral« oder »Innenstadt« heißen, und gemeint, er habe einen Job im Geschäftsviertel der Stadt in Oregon. Aber Databodies hatte seine Dienste an eine Jobagentur an der Ostküste weitervermittelt. Beide Vermittler würden eine Provision kassieren. Er machte sich nicht die Mühe, Einwände zu erheben.
Während er seine Pullover zusammenpackte, war er sich peinlich des Fernsehers bewusst, der von unten heraufdröhnte. Vijay, der Letzte, sah sich traurig eine Kochsendung an. Arjun hatte nicht gewusst, was er sagen sollte.
»Ich ziehe um«, erzählte er seinem Vater am Telefon.
»Wirst du schon befördert?« Mr. Mehtas Stimme war von Stolz erfüllt.
»Ja«, hörte er sich sagen. »Ich leite ein Software-Entwicklungsteam in Portland. Problemlösungen.«
»Problemlösungen? Mein Junge. Warte einen Moment, das muss ich schnell deiner Mutter erzählen.«
Schließlich hörte seine Mutter auf zu schluchzen und reichte den Hörer an Priti weiter, die quietschte und mit dem Mund atmosphärische Störgeräusche machte, die wohl eine applaudierende Menge darstellen sollten. Er hatte ehrlich zu ihr sein wollen, aber sie schien dermaßen hingerissen von ihrem Bild von seinem Leben in Amerika, dass er bei keinem Anruf den Mut dazu gefunden hatte. Seine Schwester freute sich so sehr für ihn, dass er ihr zu Gefallen sogar einiges hinzugedichtet hatte. Keanu Reeves in einer Pizza Hut. Ein Erdbeben. Minigolf. Sie fragte ihn nach seinem Job, und er sagte, er sei eine »spannende Herausforderung«, wobei er hörte, wie hohl seine Stimme klang, als er das sagte. Dann erkundigte sie sich nach seinen »anderen Neuigkeiten«, und ihn überfiel plötzlich ein so starkes Heimweh, das dringende Verlangen, wieder in Indien zu sein, dass er nicht reden konnte und das Telefongespräch beenden musste. Zehn Minuten vergingen, ehe ihm auffiel, dass Priti während ihrer ganzen Unterhaltung mit perfektem australischem Akzent gesprochen hatte.
Als er in O’Hare umstieg und mit langen Schritten von einem Flugzeug zum nächsten ging, hatte er das Gefühl, dass sich seine Träume endlich mit der Wirklichkeit deckten. In Portland wurde er in einem Super-8-Motel untergebracht, in dem er sich kurz dem Luxus von MTV, sauberen Handtüchern und milchfreien Kaffeeweißerbeutelchen, vor allem aber von Schnee hingab. Heimlich schlich er hinaus auf den Parkplatz und schaufelte ein wenig in seine Hände. Sein erster Schnee. Der war mehr oder weniger so, wie er ihn sich vorgestellt hatte, abgesehen von dem Geräusch, dem Knirschen, wenn man darauf herumlief, dem Quietschen, wenn man ihn in der Faust zusammendrückte. Er trug etwas davon nach drinnen, um Priti anzurufen und es ihr zu Gehör zu bringen, aber bis er am Telefon war, war er schon geschmolzen.
BSC Seafood besaß eine hangarartige Fabrikanlage auf dem Pier unmittelbar neben der Fischbörse. Drinnen waren lange Reihen von Arbeitern mit dem Filetieren, Buttern, Panieren, Füllen, Portionieren und Verpacken von Seegetier aller Art beschäftigt, wuchteten Hundert-Pound-Luftfracht-Kartons mit Plattfischen auf wartende Lkw und schoben gefrorene Kabeljaublöcke in Richtung der Maschinen, die sie zu Stäbchen zersägten. Auf einem kurzen Rundgang durch die Anlage wurde Arjun vom Hauptbuchhalter begleitet, der ihm erzählte, sie wollten eine Abteilung mit Rogenprodukten aufmachen, brauchten dafür ein paar mehr Bereiche in der Bestandsdatenbank und hätten sich für Arjun entschieden, weil »dein Boss gesagt hat, du wärst billig«. Der Job war dermaßen banal, dass er seine ganze Phantasie einsetzen musste, um ihn zumindest auf zwei Wochen zu strecken. Er machte lange Pausen, in denen er sich mit einem UBIX-Handbuch in die Toilette einschloss oder auf einer Laufbühne stand und in die Fabrikebene
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