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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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er auf der Bank verbrachte, Geld zusetzen würde. Er hatte nicht viele Ersparnisse. Damit würde er nur eine bestimmte Zeit durchhalten. Trotzdem, er gab die Hoffnung nicht auf. Er war ein qualifizierter IT-Berater, und auch wenn die Bedingungen seines Visums besagten, er müsse bei Databodies bleiben oder das Land verlassen, würde es schon bald Arbeit geben. Schließlich suchten amerikanische Firmen verzweifelt Leute wie ihn. Oder nicht? Salim, der Kettenraucher, fand das so komisch, dass er Arjun diese Aussage dreimal wiederholen ließ. Er saß schon zehn Wochen auf der Bank. Rohit zwölf.
    »Liest du denn nie den Wirtschaftsteil?«
    Das tat Arjun tatsächlich nicht. Als sie es ihm sagten, lachte er nur, es schien so absurd: Amerika boomte. Das, so wusste man (zumindest in Indien), war hier ein Dauerzustand, eine Tatsache dieses Landes wie seine fünfzig Staaten, die 19924 km Küste und die 12248 km Landesgrenzen. Außerdem hatten die Amerikaner, als wenn ihre alte Wirtschaft für sie noch nicht genug boomte, eine neue proklamiert. Doppelboom. Der Gedanke, dass nicht eine, sondern zwei Wirtschaften zitternd zum Halten kommen würden, war unvorstellbar. Doch so war es: Marktkorrektur, zyklischer Abschwung, Zusammenbruch. Nicht das richtige Klima, um sich neue und schwierige Kenntnisse wie das Autofahren anzueignen.
    Alles, was er tun konnte, war, auf einen Anruf zu warten. In der Zwischenzeit machte er sich daran, auf regelmäßigen Zehn-Blocks-Spaziergängen zum Laden dieses Amerika zu erkunden. Eine faszinierende Erfahrung. Die Bässe, die aus tiefer gelegten Autos wummerten, waren die Umkehrung von Indiens kreischendem Diskant. Erwachsene Männer trugen kurze Hosen wie Kinder. Hinter dem 7-Eleven fuhren verwilderte Kinder, sicherlich die Armen, auf ramponierten Skateboards herum und kickten sie gegen Bordsteine und Geländer, um in Wirbeln ausgebeulter Baumwollplünnen durch die Luft zu fliegen. War nichts für amerikanische Käufer, das Gewühl und Gefeilsche auf einem Marktplatz. Im Innern eines gruftartigen Safeway-Supermarkts fächelte ihm die Klimaanlage eisigen Atem in den Nacken, während er durch Gänge latschte, in denen die Waren wie ein Filmset beleuchtet waren und Rasensprenger kricketballgroße Tomaten mit einem feinen Wasserdunst benetzten. Auf allen Parkplätzen schoben Männer und Frauen in pastellfarbener Lycra- und Baumwollkleidung schwankende würfelförmige Warenpakete zu ihren Autos – und was für Autos! Schimmernde mythische Triumphwagen mit getönten Scheiben und Metalliclackierung, Fahrzeuge, die dafür gebaut waren, ganze Familienklans, ganze Gemeinden von einem Ort zum anderen zu transportieren. Als er das erste Mal ein Wohnmobil sah, vergaß er praktisch zu atmen. Da rollten sie, zwölf Meter bullige Heimstatt, mit einem Rockoperntraum aus weißen Pferden auf einer Waldlichtung bemalt, mit der Masse und Langsamkeit eines Sciencefiction-Mutterschiffs vorbei. Diese Vision hatte an der Rückseite einen Träger mit Leichtmotorrädern, und ein bärtiger Mann saß an ihrem Steuer, von dem sich Arjun nur vorstellen konnte, er schleppe in seinem Blut die Erinnerung an Planwagenzeiten mit sich herum, Gefangener eines zwanghaften Triebes zum Wandern, des Dranges, sich an der Straße ein Stück weiter unten niederzulassen.
    Eine Zeit lang glaubte er, nichts könne eindrucksvoller sein als die lässige Überlegenheit eines Kaliforniers, der aus einem Starbucks-Parkplatz herausfährt (der nachlässige Fahrstil, bei dem eine Hand träge das Steuerrad bewegt, während die andere dem Fahrer schlückchenweise Milchkaffee zuführt). Doch dann entdeckte er, dass alles trivial werden kann: Hydranten, Reklametafeln, ja sogar der emailleblaue Himmel; alle waren sie nicht von Dauer. Eins nach dem anderen verloren sie ihren Zauber.
    Das Letzte, was seine Aura verlor, war das Fernsehen, das irgendwie verlockender war als die Welt draußen. Die auf die Bank verbannten Berater verbrachten ganze Tage vor dem Apparat, aßen Chips und Salsa und verdrängten ihre schleichende Panik. Meistens hatte morgens einer von ihnen ein Vorstellungsgespräch, bei dem er eine angespannte halbe Stunde oben über das Telefon gebeugt saß, während die anderen nicht mitzuhören versuchten, den tube lauter drehten und halb hofften und halb fürchteten, der Bewerber könnte mit einer Anstellungszusage herunterkommen. Normalerweise aber war das Gespräch zu Ende, sobald der Klient bemerkte, dass er mit einem Ausländer mit

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