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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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brachte eine völlig neue Leela hervor, deren Organe anders angeordnet, mutiert, unter einer neuartigen Schicht von Verschlüsselungen verborgen waren. Das Schlimmste von allem aus der Sicht der Leute, die die Aufgabe hatten, sie zu finden, war, dass sie sich innerhalb des Programms, das sie infizierte, tarnen konnte, indem sie sich zwischen einwandfreien Instruktionen versteckte und alle Spuren dadurch verwischte, dass sie alle Verweise auf die Veränderungen, die sie vorgenommen hatte, zurücksetzte. Wenn die Sucher auf eine mit Leela infizierte Datei blickten, sah sie normal aus. Sie funktionierte immer noch. Nichts schien sich seit dem letzten gründlichen Aufräumen verändert zu haben. Einwandfreie Programme taten einwandfreie Dinge. Bis sie damit aufhörten. Bis Leela die Dinge in die Hand nahm.

    Start + 3 Std: 17.360 Hostcomputer
    Start + 4 Std: 85.598 Hostcomputer
    Start + 5 Std: 254.217 …

    Und so war, als Arjun am nächsten Morgen abgespannt und müde nach einer Nacht ohne Schlaf zur Arbeit erschien, trotz der Infektion, die in der ganzen Welt wütete, bei Virugenix kein einziges Virenmuster zur Analyse eingegangen. Leela befand sich auf der freien Wildbahn und war im Augenblick vollkommen unsichtbar.

W er hat geklickt? Hast du geklickt? Warst du so neugierig, um es auszuprobieren? Ganze Berge von Daten flossen durch die Leitungen, durch MAE-West und -Ost hinein in Zentren und Ringe in Chicago, Atlanta, Dallas und New York, und aus anderen in London und Tokio durch das gewaltige SEA-ME-WE-3-Kabel unter dem Pazifik und seine Geschwister auf dem Meeresboden des Atlantik. Daten strömten hinauf zu Nachrichtensatelliten oder wurden in Funkwellen umgewandelt, um von Sendern ausgespuckt zu werden und sich durch Menschen und Gebäude in den Weltraum zu verbreiten.
    Leela fand Guy Swift in 11 000 Metern Höhe, als er von New York nach London zurückflog, und als sie bei ihm eintraf, machte das kaum Eindruck, denn er schlief. Sie war mit anderen Nachrichten zusammengepackt, komprimiert und von einem Satelliten auf einen Computer an Bord des Airbus A300 geleitet worden, in dessen Erste-Klasse-Abteilung Guy zurückgelehnt saß und schläfrig die E-Mails im Bordtelefon durchsah. Er holte seinen Laptop aus dem gepolsterten Nylonfutteral, zog seine Firmenkreditkarte durch das Kartenlesegerät am Telefon und schaltete die beiden Geräte zusammen. Dann schloss er nur für einen kurzen Moment die Augen und driftete davon an einen Ort der Abstraktion und Wärme. Einige Sekunden verstrichen. Die Abstraktion trübte sich, und er hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, durch sein eigenes Inneres zu stürzen, durch sich selbst. Auf derart unangenehme Weise ins Bewusstsein gestoßen, atmete er heftig, öffnete die Augen und sah zehn neue Mails auf seinem Posteingang. Probiers mal aus! Verwirrt klickte er. Nichts geschah. Seine Verärgerung machte sich als kleiner Abscheu, als vorübergehende Störung in der glatten Kurve seines Arbeitstags bemerkbar. Hoteldusche, Frühstückstablett, Lobby, Limousine, Arbeitsessen, Einkaufen, Hotel, wiederum Limousine – das Raster der Straßen Manhattans glitt vorbei, als der schweigsame Fahrer ihn behutsam hinaus zum Flughafen fuhr – alles geräuschlos, perfekt …

    Abflugzeit: 02.14 Uhr
    Ankunftszeit: 07.14 Uhr
    Ortszeit:?

    Welche Zeit galt hier? Wie spät war es jetzt?
    Verschlafen beobachtete Guy einige Zeit später, wie London sich rund um das Taxi versammelte. Auf dem Sitz neben ihm lag eine Tragetasche der Unterwäscheboutique, ein in letzter Minute erstandenes Geschenk für Gabriella. Er beugte sich nach vorn und rief dem Fahrer, der in eine Radiosendung mit Höreranrufen vertieft war, die Richtung zu. Vor sich erblickte er in der Ferne das Gebäude, in dem er wohnte, ein Gebirge aus blauem Glas, das ein paar niedrige Achtzigerjahreblocks überragte. Er liebte diesen Moment, der schönste Augenblick jeder Reise. Heimzukommen.
    Daheim. In Vitro.

    Wie jeder Londoner weiß, ist In Vitro, Sir Nigel Pelhams wegweisender Wohnkomplex, ein zwanzig Etagen hoher Stufentempel aus blauem Glas, der sich in einer flachen Biegung am Südufer der Themse erstreckt. Jedes der dreihundertvierundzwanzig Luxusapartments hat einen Balkon, der so abgeschirmt ist, dass er die Illusion vollkommener Einsamkeit vermittelt. »Die Wirkung«, sagte Sir Nigel in einem Interview mit der Zeitschrift Archon, »ist die absoluter Ruhe, das himmlische Gefühl, frei von den Sorgen der Welt in der Luft zu

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