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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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landeten auf seinem Gesicht. Als er seinen letzten Schluck Kaffee trank, klingelte das Telefon mit einer Softrock-Melodie aus den achtziger Jahren. Wie seine gelegentlichen Besuche in kleinen dreckigen Cafés, wie seine Sammlung von John-Holmes-Videos, wie sein augenblicklicher Haarschnitt und die Poster von sozialistischen Staatsführern im Essbereich war Guys Klingelton ironisch gemeint. Die Anruferin war Kika, seine Assistentin.
    »Guy?«
    »Kika, hi.«
    »Wie ist es in New York gelaufen?«
    »Es hat ihnen gefallen, Kika. Wirklich gut. Ihren Public-Relations-VP hat’s total umgehauen.«
    »Das ist eine tolle Nachricht. Also haben wir den Auftrag?«
    »Sie haben sich noch nicht entschieden, aber das werden sie. Glaub mir.«
    »Oh, ich verstehe.« Sie klang skeptisch, was ihn ärgerte.
    »Guy«, fragte sie, »kommst du ins Büro?«
    »Kika, eigentlich bin ich fix und fertig. Ich bin erst vor ein paar Minuten zur Tür rein. Gibt’s was Neues?«
    »Vielleicht. Mag sein, dass es nicht wichtig ist, aber ich denke, du solltest wissen, dass Yves Ballard hier ist. Und er – schnüffelt irgendwie herum.«
    Das war eine schlechte Nachricht. Guy warf einen Blick nach hinten in seinen Wohnbereich und suchte unbewusst nach etwas, was er sich reinziehen oder schlucken konnte, um diese Neuigkeit zu verdauen. »Yves? Was zum Teufel macht er im Büro? Ich habe nicht einmal gewusst, dass er überhaupt in London ist. Und was meinst du mit ›herumschnüffeln‹?«
    »Na ja – er sieht sich halt alles an. Guckt den Leuten über die Schulter. Fragt sie, woran sie gerade arbeiten. Angeblich möchte er bloß einen Eindruck von unserer Kultur bekommen. Er hat wohl gewusst, dass du weg bist.«
    »Dieses Arschloch. Dieses beschissene Arschloch. Er hat nicht mal den Anstand zu – oh Scheiße – Kika, tust du mir ’n Gefallen? Wenn er in die Nähe von Pauls Abteilung kommt, versuche ihn abzulenken. Ich möchte nicht, dass er irgendwelche Vermögenssachen einsieht, ehe ich da bin. Ich springe sofort in ein Taxi …«
    »Guy, wie soll ich das denn anstellen? Er schlendert einfach so herum und quatscht.«
    »Ich weiß nicht. Lass dir was einfallen. Mach ihm Tee. Zeig ihm deine Titten.«
    »Guy, das war jetzt nicht nötig.«
    »Kika, gib dir einfach Mühe, okay? Ich komme, so schnell ich kann.«

S chön, Sie zu sehen, Yves«, log Guy. »Willkommen.«
    Yves langte nach oben, schüttelte Guy die Hand und log seinerseits verbindlich irgendwas von Flugverbindungen, günstiger Gelegenheit, einem Morgen, den er totzuschlagen hätte. Es war ein unangenehmer Augenblick. Um ihn bei Tomorrow* willkommen zu heißen, musste Guy so tun, als hätte Yves es sich nicht schon in dem Balzac-Sessel in der Brainstormingzone bequem gemacht, wo er einen Stapel Kalkulationen durchblätterte.
    Einen Moment lang sahen sie sich starr an, dann lösten sie den Blick voneinander und schauten in entgegengesetzte Richtungen auf die umgebaute Fabrik in Shoreditch hinaus. Tomorrow* war, wie Guy allen Besuchern gern versicherte, weniger eine Agentur als vielmehr ein Experiment, Leben und Arbeit miteinander in Einklang zu bringen. Guy wollte seiner Belegschaft ein Ambiente bieten, das Kreativität und Innovation forderte, zu Höchstleistungen anspornte, das aus Arbeit Spaß und aus Spaß Arbeit machte. Dieses Ambiente bestand aus drei offenen Etagen mit großen Fenstern, nackten Backsteinwänden und polierten Dielen, die die Narben des Einbaus und der Demontage schwerer Maschinen zeigten und auf denen jetzt wahllos Tische und PC-Arbeitsplätze angeordnet waren, das Ergebnis eines erfolglosen Experiments mit der Mehrfachnutzung von Arbeitsplätzen. Als Gegenleistung für Guys Engagement waren genau in diesem Moment etwa achtzig Leute damit beschäftigt, zu forschen, prüfen, analysieren, formulieren, quantifizieren und qualifizieren, zu redigieren, mischen und montieren, zu arrangieren, präsentieren, diskutieren und all die anderen Betätigungen auszuführen, die Guy gern unter der Generalüberschrift Sich die Hände am Markenprofil schmutzig machen zusammenfasste. Gemeint war damit: die Leute dazu zu bringen, ihren Emotionen, Beziehungen und ihrem Selbstgefühl durch den Erwerb von Produkten und Dienstleistungen eine Pachtung zu geben.
    »Wollen wir nicht nach oben gehen?«, fragte er.
    »Nein«, erwiderte Yves. »Wir bleiben hier. Es ist gemütlich.« Er zeigte auf einen Sitzsack neben dem Sessel. Die Vorstellung, in seinem eigenen Firmensitz zum Platznehmen aufgefordert

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