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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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erblickte sie etwas derart Machohaftes, dass es fast antik wirkte, eine Erinnerung an Plakate aus den verschwenderischen achtziger Jahren. Der Ferrari Testarossa pochte wie ein geschwollener Metallpenis, dessen strahlend roter Lack protzig in der Sonne funkelte. Der Fahrer, ein Mann von Anfang vierzig, trug eine Fliegersonnenbrille, eine schwarze Bikerlederjacke und ein enges weißes T-Shirt. Sein glattes schwarzes Haar war nach hinten gekämmt und mit Unmengen Gel angeklatscht, wobei ein paar Strähnen sich kunstvoll über ein Spiegelbrillenglas ringelten. Er winkte und gab Autogramme, während sein leerer Beifahrersitz sich mit Teddybären und selbst gemachten Grußkarten füllte. Rajiv Rana formte (nein, sicherlich nicht) seine Finger zu einer Pistole und feuerte sie auf ein paar affektierte Mädchen ab, dann zog er seine Brille auf die Nase, sah Gaby direkt an und grinste. Er winkte ihr allein ganz kurz zu, dann gab er Gas und jagte heulend die Hotelauffahrt hinauf.
    Aus Gründen, die nur ihm bekannt waren, fing der Polizist an, laut zu applaudieren. »Ham Se das gesehn?«, fragte er. »Ham Se das verdammt noch mal gesehn?«
    An diesem Nachmittag begann es zu regnen. Gaby hatte eine Unterredung mit Iqbal. Während seine Hände obszön um sein Gemächt herumglitten, betonte sie noch einmal, dass die beste Aussicht für ihn; in Ruhe gelassen zu werden, darin bestand, dass Leela sich den Fotografen zeigte. Er zuckte nur niedergeschlagen die Schultern und fragte, ob sich die Presseleute ablenken ließen, wenn Rajiv sich ihnen stellte. Sie erklärte, dass die Radio- und Zeitungsleute kein Interesse an Rajiv oder der Produktion hätten. Leela sei die Story. Nur auf sie käme es an.
    An der Rezeption fluchte der Direktor auf seinen Computer, der seinen Gast in einem Trickfilm zeigte. Rob D. saß mit aufgestützten Ellenbogen an der Bar und sah den Tänzerinnen zu, die kreischend und streitlustig Karten spielten. Zu Gabys Überraschung waren sie alle blond und Engländerinnen. »Dies hier«, gestand eine von ihnen, »ist doch großartig. Wir werden fürs Hierbleiben bezahlt und haben schon seit Tagen null Komma nix machen müssen.« Gaby gab zu, dass das ein gutes Geschäft sei. »Der jetzige Produzent möchte, dass wir später in diesem Jahr mit ihm an den Golf fahren«, erzählte eine andere. »Für einen Auftritt.«

    An diesem Abend ging sie zum Essen hinunter ins Restaurant und wurde gebeten, sich mit an den großen, aber recht ruhigen Tisch des Filmteams zu setzen. Sie ignorierte den leeren Platz neben Iqbal und nahm gerade neben Vivek Platz, als Rajiv Rana hereinkam und sich einen Stuhl zwischen sie zog. Sein Erscheinen löste einen kleinen Wirbel kurzer Blicke, Berührungen des Gesichts und rasches Richten der Kleidung bei der indischen Crew aus, die unwillkürliche Befangenheit in der Gegenwart von Prominenz. Unter den Engländern kam die einzige Reaktion von zwei Tänzerinnen, die ihn gelassen musterten, wie sie es bei jedem anderen vorzeigbaren Mann auch getan hätten. Es war bizarr. Für die Hälfte der Anwesenden war Rajiv ein Superstar. Für die anderen war er nicht weiter bemerkenswert.
    »Hi.« Er lud die Silbe mit Bedeutung auf.
    »Hallo«, sagte Gaby.
    »Rajiv«, sagte er.
    »Gabriella Caro von Bridgeman & Hart.«
    Er hatte seine Sonnenbrille abgenommen und trug statt der schmierigen Lederjacke ein einfaches blaues Oxford-Baumwolloberhemd. Sie musste zugeben, dass es ihm stand. Er war hoch gewachsen, auffallend durchtrainiert und hatte die Art von reinem gutem Aussehen, die sie mochte. Während des Essens wandte sich seine Aufmerksamkeit fast nur ihr zu, und obgleich er hauptsächlich über sich sprach, war es nicht der Testosteron-Testarossa-Monolog, den sie erwartet hatte. Es war etwas Aufrichtiges an der Art, wie er seine Geschichte erzählte, die im Kern das klassische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Märchen war. Er war in einer armen Familie in einer Kleinstadt im Pandschab aufgewachsen und im Alter von zwölf Jahren nach Mumbai durchgebrannt. Nachdem er in einer chai- Bude und einer Fahrrad-Reparaturwerkstatt gearbeitet hatte, fand er einen Job als Laufbursche für eines der großen Filmstudios. Er beobachtete die Stars bei Proben und Aufnahmen und brachte sich so selbst das Tanzen bei, dann begann er an Massenvorsprechen für Statisten teilzunehmen. Als er ab und zu Arbeit bekam, konnte er sich Schauspiel- und Tanzunterricht leisten und wurde schließlich mit einer kleinen Rolle in The Chain,

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