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Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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Kopf. Die Sperrung der Fremont
Bridge hatte ein Chaos im morgendlichen Berufsverkehr verursacht. Auf
der I-5 nach Norden, der 405 und selbst in kleineren Straßen ging
nichts mehr. Sobald sie die Straßensperre am Ende der Brücke hinter
sich gelassen hatten, schaltete Henry die Sirene an, damit sie auf dem
Seitenstreifen des Freeway fahren durften. Theoretisch sollten sie die
Sirene nur bei Noteinsätzen benutzen. Henry betrachtete Verkehrsstaus
aber als Notfälle.
    »Du meinst also, Lodge hat beschlossen, sich von der Brücke zu
stürzen«, sagte Henry. »Hat ins Steuer gegriffen? Mord und Selbstmord?«
    »Vielleicht«, sagte Archie.
    »Erzählst du es dem FBI?«, fragte Henry.
    Archie dachte darüber nach. »Wir warten ab, zu welchem
Ergebnis die Kriminaltechniker kommen«, sagte er. »Wenn es keine
Absicht war, gibt es keinen Grund, Susan ihre Geschichte zu vermasseln.«
    Henry grinste und setzte seine Pilotensonnenbrille auf.
    »Was ist?«, fragte Archie.
    »Du bist nett zu ihr, weil sie dich mag«, sagte er.
    »Ich bin nett zu ihr, weil ich nett bin«, sagte Archie. »Und
sie mag mich, weil ich alt …«
    »Senile vierzig«, wandte Henry ein, der zehn Jahre älter war.
    »Weil ich alt bin«, wiederholte Archie. »Und mächtig«, fügte
er an.
    »Herrisch«, entgegnete Henry.
    Archie versuchte es mit: »Gebieterisch?«
    Henry stimmte dem Kompromiss mit einem Nicken zu. Sie hatten
inzwischen die Innenstadt durchquert und fuhren über die Marquim Bridge
wieder auf die Ostseite. Der Verkehr war nun weniger dicht. Die Sonne
war herausgekommen, am Horizont ragten Mount Hood und Mount St. Helen
auf. Archie fand immer, sie sahen im Sommer komisch aus mit ihren
merkwürdig nackten Felsformationen.
    »Nicht zu vergessen«, sagte Archie, »dass ich kaputt und nicht
zu haben bin.« Er ließ das Fenster hinunter und schüttete den Rest des
Kaffees hinaus.
    »Tja«, sagte Henry. »Wie könnte sie da widerstehen?«

_7_
    A rchie stand im Eingang seines Hauses. Er
hatte den restlichen Sonntagvormittag im Büro Berichte geschrieben.
Lodge war nicht sein Fall, aber er war am Schauplatz gewesen, und das
bedeutete Papierkram. Henry hatte schließlich darauf bestanden, ihn
heimzufahren.
    Er hörte Buddy Holly aus dem Innern des Hauses dröhnen. Es
roch nach frisch gebackenem Kuchen, und aus der Küche kam das helle
Glucksen seines Sohns. In einem früheren Leben hätte ihn dieser Klang
zum Lächeln gebracht; jetzt brachte er ihn nur dazu, mit der Hand um
die Pillendose in seiner Tasche an der Tür zu verharren.
    Vor zweieinhalb Jahren war er vor Gretchens Haus gestanden. Er
dachte oft an diese Nacht, führte sich den Ablauf der Ereignisse noch
einmal vor Augen, redete sich zu, kehrtzumachen, wegzugehen, in seinen
Wagen zu steigen und schnurstracks zu seiner Familie nach Hause zu
fahren. Wenn er in jener Nacht nicht ins Haus gegangen wäre, wäre alles
anders.
    Aber er war hineingegangen. Und Gretchen hatte gewartet.
    Er blieb noch eine Zeit lang unmittelbar hinter der Haustür
stehen und rief dann endlich: »Ich bin da.«
    »Wir sind in der Küche«, rief Debbie zurück.
    Archie trug seine Aktentasche ins Arbeitszimmer, um noch ein
paar Sekunden zu gewinnen. Er ließ die Tasche nicht gern draußen, wo
die Kinder sie womöglich aufmachen würden. Niemand sollte Bilder sehen
müssen, wie die, die er anschauen musste. Sein Arbeitszimmer befand
sich am Ende des Flurs. Ein quadratischer Raum mit Teppichboden, einem
Schreibtisch, einem falschen Eames-Stuhl und einem Sofa, das sich zu
einem Bett für Gäste ausklappen ließ, die anscheinend nie kamen.
Oberflächlich betrachtet, sah das Büro ganz harmlos aus. Regale mit
Büchern über forensische Pathologie und kriminalistischen
Nachschlagewerken, ein paar Belobigungen gerahmt an der Wand, ein
Computer, drei Aktenschränke, die vor Berichten und Aufzeichnungen
überquollen. Es gab einen großen Schrank mit einer Faltschiebetür aus
Birke. Im Schrank befand sich an der Rückwand eine Collage von Fotos
aller Opfer von Gretchen, deren Fälle Archie abgeschlossen hatte.
Manchmal öffnete er die Tür, schaltete das Schranklicht ein und
betrachtete sie einfach. Zweiundvierzig Gesichter. Männer. Frauen.
Kinder. Er kannte jedes Detail von jedem Foto. Sie waren in sein
Bewusstsein eingebrannt.
    Er setzte sich an seinen Schreibtisch, löste das Holster von
seinem Gürtel, zog die Waffe heraus und leerte die Kugeln in seine
Hand. Sie waren nie so schwer, wie er es erwartete. Er schloss

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