Grazie
voller Gewalt. Tatortfotos.« Der Gedanke, dass sein
achtjähriger Sohn las, was sie ihm angetan hatte, verursachte ihm
Magenschmerzen. »Drastische Beschreibungen von Folter.«
»Ein kleiner Einblick in deine Welt«, sagte Debbie.
Er ging zu ihr. Sie roch nach Buttercreme. »Es ist total
ungeeignet für Kinder«, sagte er. Er fühlte sich zittrig; sein Körper
ächzte nach den Pillen. »Er hat es Sara gezeigt.«
Ben verdrehte die Augen. »Sie ist so eine Petze.«
»Geh und hol es«, befahl Archie und zeigte in Richtung von
Bens Zimmer. »Auf der Stelle.«
Ben sah Debbie an. So war es, seit Archie wieder nach Hause
gekommen war. Sein Sohn blickte jedes Mal seine Mutter an, bevor er
etwas tat. Sie nickte, und Ben sprang von dem Hocker und verschwand im
Flur, wobei er immer noch an seinen Fingern schleckte.
Debbie legte das Messer wieder an den Kuchen an und drehte den
Teller. »Wenn du nicht darüber sprichst«, sagte sie vorsichtig, »werden
sie versuchen, woanders Antworten zu bekommen.«
»Aber nicht aus diesem Buch«, sagte Archie.
Debbies Mund wurde zu einem schmalen Strich. »Sie wissen, dass
du vermisst wurdest. Dass du verletzt wurdest. Sie waren noch sehr
klein damals.« Er hörte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte, wie sie
gegen die Tränen ankämpfte. »Aber sie werden irgendwann die ganze
Geschichte hören müssen.«
Nicht die ganze Geschichte. »Wieso?«, fragte er.
»Was ist mit deinen Narben?« Sie legte das Glasurmesser über
die Schüssel und drehte sich zu ihm um. »Wie wollen wir ihnen das
erklären? All diese Fahrten ins Gefängnis. Sie erinnern sich daran. Sie
wissen, dass du sie besucht hast.«
»Es war mein Job«, betonte Archie.
Debbie streckte die klebrige Hand aus und berührte seine
Wange. »Erzähl mir keinen Blödsinn, Archie. Ich kenne dich seit einer
Ewigkeit.« Sie sah ihm in die Augen. »Du bist da hingefahren, weil du
es gebraucht hast, weil es dir gefallen hat.«
Archie trat einen Schritt zurück und drehte sich um. »Ich bin
erschöpft. Ich will das jetzt nicht«, sagte er und öffnete ein
Schränkchen, um sich ein Glas zu holen.
»Ich will nur, dass du ehrlich zu uns bist. Zu mir.«
Er drehte den Wasserhahn auf und füllte das Glas. »Bitte
nicht«, sagte er.
»Ich will, dass du ehrlich zu dir selbst bist.«
Archie setzte langsam das Glas an die Lippen und trank einen
Schluck, dann kippte er den Rest in den Ausguss. Er stellte das Glas in
die Spüle. Selbsterkenntnis war nicht sein Problem. Er wusste genau,
wie kaputt er war. Er hätte alles für ein bisschen Verdrängung gegeben.
»Ich bin ehrlich zu mir«, sagte er. Gott, er hatte das so satt. Er nahm
ihr übel, dass sie es ihm so schwer machte, dass er sich so schuldig
fühlte wegen ihr.
Sie wollte die Wahrheit hören? Schön. Scheiß drauf. »Ich bin
hingefahren«, sagte er langsam und sprach jedes Wort so deutlich aus,
als wäre es eine Grammatiklektion, »weil es mir gefiel.« In der Spüle
stand eine Kuchenform zum Einweichen neben einem Glas, vom Boden
gelöste Kruste schwamm im seifigen Wasser. »Es war die einzige Zeit in
der ganzen Woche, in der ich tatsächlich das Gefühl hatte, noch zu
leben.« Er sah Debbie an. »Ich würde immer noch hinfahren, wenn ich
glaubte, es ungestraft tun zu dürfen.«
Sie stand da, die Arme an den Körper gepresst, die
Sommersprossen wie dunkle Sterne. »Du kannst sie nicht sehen, wenn du
bei uns bleiben willst.«
Archie lächelte. »Da ist es«, sagte er.
»Was?«, fragte Debbie.
»Das Ultimatum«, sagte Archie. »Du weißt, wie ich die liebe.«
»Hier«, sagte eine Kinderstimme. Sowohl Debbie als auch Archie
wandten den Kopf und sahen Ben im Eingang zur Küche stehen, das dicke
Taschenbuch in den Händen. Gretchens hübsches Gesicht lächelte
verführerisch vom Cover.
Archie ging zu ihm und nahm seinem Sohn das Buch aus den
Händen. Er beugte sich hinunter und küsste ihn auf die Wange. »Danke«,
sagte er ihm ins Ohr. »Es tut mir leid, dass ich dich angefahren habe.«
Dann strich er Ben übers Haar und schritt an ihm vorbei in den Flur.
»Wohin gehst du?«, fragte Debbie.
Archie wirbelte herum. »Es ist Sonntagnachmittag«, sagte er.
»Ich dachte, ich fahre in den Park.«
Debbies Augen waren voll Tränen. »Du solltest nicht fahren.«
Archie ging weiter. »Ich sollte viele Dinge nicht tun.«
_8_
A uf Parkers Schreibtisch waren Blumen. Ein
Topf mit Usambaraveilchen, ein Strauß gelber Tulpen und ein Strauß von
einer fleischigen, rosa Blume, die Parker
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