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Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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war geradlinig und verantwortungsbewusst. Sie war
chaotisch. Er trank seinen Kaffee mit Milch und Zucker. Sie trank ihren
schwarz.
    Die Wahrheit war, dass er sich eine Freundin wünschte. Und sie
wollte im Augenblick niemands Freundin sein.
    »Ich kann nicht glauben, dass er nicht mehr da ist«, sagte er,
und das Grübchen in seinem Kinn wurde tiefer. Dann schüttelte er den
Kopf. »Dumm, so etwas zu sagen, oder? Genau dasselbe sagen alle.«
Sowohl Susan als auch Derek hatten um Parkers Aufmerksamkeit gebuhlt.
Es gehörte zu den wenigen Dingen, die sie gemeinsam hatten.
    »Ich weiß, du hast ihn auch wirklich gemocht«, sagte sie.
    »Falls du reden willst«, sagte Derek, »hast du ja meine
Nummer.«
    Warum musste er so nett sein?
    Die Tür des Konferenzraums ging auf, und Susan sauste in ihrem
Stuhl zurück. Er rollte zu schnell, und sie wäre beinahe hintüber
gekippt.
    Ian sah sie an und machte ihr ein Handzeichen, dass sie kommen
sollte.
    »Die Pflicht ruft«, sagte sie zu Derek, dann stand sie auf und
ging über den mit Teppichboden belegten Gang zwischen den
Schreibtischgruppen zu seinem Büro. Es hatte ein Fenster, aber das ging
nur zum Nachrichtensaal hinaus. Es gab Anschlagbretter voll
ausgeschnittener Reportagen, damit er einen Autor nach dem anderen
hereinbitten und jedes Wort ihrer Artikel mit ihnen durchgehen konnte,
bis man weinen oder ihn in den Hals stechen wollte. Er gehörte zu
dieser Sorte von Redakteuren.
    Sie hatte bereits für sich beschlossen, dass sie kündigen
würde, falls sie es nicht brachten. Oder ihn erstechen. Je nachdem,
welcher Impuls sich durchsetzte. Wahrscheinlich erstechen.
    Er machte ihr ein Zeichen, Platz zu nehmen, und sie warf sich
auf einen Stuhl.
    »Wir bringen es«, sagte er. »Aber wir werden ein paar
Änderungen vornehmen müssen.«
    Susan zog am Ärmel ihres Sweatshirts. »Änderungen?«
    Ian fasste an seinen kleinen Pferdeschwanz. »Der Senator war
eine Institution in diesem Bundesstaat. Er wurde geliebt. Wir müssen
den Artikel in diesem Kontext präsentieren. Er hatte eine Affäre mit
einem Teenager. Und das war sehr unklug.«
    Susan fühlte, wie ihr die Geschichte entglitt. Unklug? Gestern
war es noch die Story des Jahrhunderts gewesen. »Es war keine Affäre«,
sagte sie. »Sie war vierzehn.«
    »Egal«, sagte Ian. Er klickte auf seine Computermaus, und ein
Word-Dokument erschien auf dem Schirm. »Ich versuche, es neu zu
gestalten. Ich gebe dir die redaktionellen Änderungen zur Durchsicht.
Wir wollen die Geschichte bringen. Aber nicht in der Montagsausgabe mit
der Huldigung der Verstorbenen. Das wäre einfach nicht angemessen.«
    Nicht angemessen? »Parker war mein Redakteur«, sagte Susan.
    Sie beobachtete, wie Ian einen Satz in ihrem Artikel markierte
und dann die Löschtaste anschlug. »Ich weiß, das ist schwer für dich«,
sagte er.
    »Parker war mein Redakteur«, wiederholte Susan. Hinter Ian
waren Fotos von Lodge über die Jahre hinweg an die Pinnwand gesteckt,
er sah aufgeblasen und von sich eingenommen aus. Jemand hatte Ideen für
Schlagzeilen auf Zettel geschrieben und sie neben die Bilder geheftet.
Staat trauert um liebsten Sohn. Senator stirbt bei Unfall. Held der
Armen stirbt bei Brückenunglück.
    In keiner wurde Parker erwähnt. Er würde von Glück sagen
können, wenn er es auf die Titelseite schaffte.
    Ian griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch und drückte
die Neun für eine Leitung nach draußen. Susan durchschaute die Geste
genau. Er musste nicht wirklich telefonieren; es war nur sein
unbeholfener Wink an sie, dass die Besprechung vorbei war. »Wir
brauchen einen Hinweis, wie wir deine Quelle erreichen«, sagte er
zerstreut. »Molly Palmer.«
    »Kein Problem«, sagte Susan.
    Sie stapfte zu ihrem Schreibtisch zurück, setzte sich in ihren
Sessel und drehte sich langsam. Ein weiterer Strauß war auf Parkers
Schreibtisch abgelegt worden, ein Bund purpurner Nelken mit
Schleierkraut. Sie waren in grünes Papier gewickelt und mit einem
schwarzen Band zusammengebunden. Auf dem Band standen die Worte Ruhe
in Frieden.
    Susan kramte ihr Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer
ein.
    »Ich muss hier raus«, sagte sie ins Telefon. »Wollen Sie immer
noch ein bisschen Geschmiere über Ihre unbekannte Tote?«
    »Ich bin gerade im Park«, antwortete Archie Sheridan. »Können
wir uns treffen?«
    Archie saß auf der feuchten Erde, nur wenige
Meter von der Stelle entfernt, wo ein Mädchen ermordet worden war. Es
hatte zu regnen begonnen und der Park

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