Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
…
Blitzartig fiel ihre eine Lösung ein. Es war eine
verrückte und gefährliche Lösung, und hätte irgend
jemand anderes sie ihr vorgeschlagen, hätte sie die
Person wahrscheinlich nur aus Prinzip sofort er
schossen, aber … Emma Stahl heulte ihren
Schlachtengesang mit fast versagender Summe und
zog den Schlitten wieder steil gen Himmel. Sie
schaltete alle Kraftfelder ab und lenkte die freige
wordene Energie ins Triebwerk. Der Ekstatiker hatte
das Gesicht in ihrem Kreuz vergraben, um nicht se
hen zu müssen, was hier geschah. Emma machte ihm
keinen Vorwurf daraus.
Die Gravobarke ragte vor ihr auf, füllte den Him
mel aus und wurde von einem Augenblick zum näch
sten noch größer. Emma brauste knapp einen Meter
an ihrem Bug vorbei aufwärts, ohne zu stoppen. Die
Disruptorstrahlen kamen jetzt nicht mehr in ihre Nä
he. Emma zog den Schlitten in eine große Schleife,
bis sie mit den Köpfen nach unten flogen, gehalten
nur von den Aufprallgurten des Schlittens. Die
Fliehkräfte drückten Emma das Blut aus dem Kopf
und in die Füße, aber sie wollte verdammt sein, wenn
sie ohnmächtig wurde. Sie lenkte den Schlitten wei
ter durch die Schleifbahn, angetrieben vom überlaste
ten Triebwerk, bis sie so rasch aus der Schleife her
ausstürzten, dass es ihr den Atem raubte. Sie waren
jetzt wieder in aufrechter Fluglage und näherten sich
rasch dem Heck der Gravobarke.
Tatsächlich ging es sogar schnurstracks auf die
Abstrahlmündungen der Triebwerke zu, die einzige
Stelle, die nicht von Kraftfeldern geschützt wurde,
damit sich die Triebwerksenergien sicher verstreuen
konnten. Im Grunde ein Konstruktionsfehler. Emma
eröffnete aus jedem Disruptor, den sie hatte, das
Feuer und die sich anschließenden Explosionen wa
ren zufrieden stellend laut und krachend und scheuß
lich. Schwere Flammenstrahlen zuckten aus der Bar
ke, denen Emma nur mit einem verzweifelten Manö
ver in letzter Sekunde ausweichen konnte, um dann
zu sehen, wie dicker schwarzer Qualm auf die
Flammen folgte. Die Barke kippte langsam zur Seite,
als sich eine Treibstoffzelle nach der anderen lieber
abschaltete, als sich noch zur Kette der Explosionen
hinzuzugesellen; dann begann die Gravobarke ihren
langsamen, unerbittlichen Sinkflug. Emma lachte
heiser, wendete den Schlitten und nahm erneut Kurs
auf Neue Hoffnung.
»Und da behaupten die Leute, ich wäre verrückt«,
sagte Freude, das Gesicht weiterhin in ihrem Um
hang vergraben.
Niemand versuchte mehr, sie aufzuhalten.
Neue Hoffnung war eine Stadt in den Wolken. Eine
gewaltige Metropolis von über dreißig Kilometern
Durchmesser, die hoch am Himmel schwebte, gelas
sen und unbekümmert von den Kümmernissen der
irdischen Welt tief unter ihr. Geschützt durch
schreckliche, unsichtbare Kräfte, gewaltiger und zer
störerischer als Armeen. Niemand belästigte die
Überseele. Die große Stadt glänzte von Lichtern,
zeichnete sich leuchtend und strahlend vor dem
Himmel des frühen Abends ab, ein Anblick von
übernatürlicher Schönheit; ein Märchenreich aus
hauchdünnem Glas und Stahl. Zierliche Bauwerke
voller Anmut und Charme, jedes einzelne ein
Kunstwerk, waren durch Hochstraßen verbunden.
Neue Hoffnung: eine Stadt, fast zu schön für Men
schenaugen.
Emma Stahl bremste den Schlitten ab und gestatte
te sich aus, wie sie hoffte, sicherer Distanz einen for
schenden Blick auf die Stadt. »Seid Ihr sicher, dass
Ihr dorthin möchtet?«, fragte sie über die Schulter.
»Diese Stadt ist nur für Esper gedacht. Menschen
sind meist nicht willkommen.«
»Es ist ein Risiko«, räumte Freude ein und blickte
zaghaft an ihr vorbei auf das Lichtermeer der Stadt.
»Hoffentlich betrachten mich die Esper als von ge
wöhnlichen Menschen ausreichend verschieden, um
mich vorübergehend zu dulden. Neue Hoffnung ist
von jeher ein Zufluchtsort für Personen in Not, die
mit der Gabe ausgestattet sind. Ich denke, wenn sie
sehen, was ich im Kopf trage, und meine Einsichten
in das Gestern und das Morgen erblicken, werden sie
wollen, dass ich bleibe. Sicherlich ist die Überseele
eine der wenigen Mächte im Imperium, die stark ge
nug ist, mich vor allem zu beschützen, was der Engel
auf mich hetzt «
»Der Engel? Ihr meint Angelo Bellini, den Engel
von Madraguda? Hat er Euch für die Ermordung ge
kennzeichnet? Was zum Teufel habt Ihr denn gegen
ihn in der Hand – vielleicht Aufnahmen, wie er in
Frauenunterwäsche auf einer Dinnerparty des Höl
lenfeuerclubs
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