Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe

Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe

Titel: Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todtsteltzers Erbe
Vom Netzwerk:
und wandte den Blick ab, konnte ihr
nicht in die Augen sehen. Er konnte ihr nicht sagen,
dass Owen tot war. Sie würde es nicht für sich behal
ten. Sie würde sich verpflichtet fühlen, es weiterzu
erzählen … irgend jemandem, und sobald es erst mal
durchgesickert war, konnte es niemand mehr aufhal
ten. Alle Medien würden davon schwirren … Dafür
wollte Lewis nicht die Verantwortung übernehmen.
Es wäre grausam gewesen, der Menschheit die letzte
Hoffnung angesichts des sich nähernden Schreckens
zu rauben. Er sah Anne wieder an und bemühte sich,
irgendeine tröstliche Lüge zu formulieren, aber ihre
Augen bohrten sich in seine, und die Worte wurden
schon im Mund zu Asche.
»Die KIs haben dir etwas erzählt, nicht wahr?«,
sagte Anne auf einmal. »Was war es? Was könnte so
schlimm sein, dass du es mir nicht sagen möchtest?
Was wissen sie und verschweigen es uns?«
Und nach wie vor brachte er es nicht heraus und
erzählte ihr deshalb nur eine Teilwahrheit.
»Sie haben mir Aufzeichnungen gezeigt … aus der
Zeit der Rebellion«, sagte er gelassen. »Da waren
Owen und Hazel und die anderen zu sehen, aber die
Menschen, weniger die Legenden. Es war … beun
ruhigend, sie nur als Menschen zu erblicken und
nicht als Fleisch gewordene Mythen. Sie waren herr
lich, großartig; große Kämpfer. Aber sie sahen gar
nicht nach Wunderwirkern aus. Vielleicht können
bloße Menschen – auch solche, die das Labyrinth des
Wahnsinns durchschritten haben – den Schrecken
nicht aufhalten. Womöglich ist es nicht klug, wenn
wir alle unsere Hoffnungen auf diese Menschen set
zen, selbst wenn wir sie überhaupt finden.«
»Aber … sie hatten besondere Kräfte! Sie voll
brachten … Erstaunliches!«
»Wirklich? Oder behauptet das nur die Legende?
Die Geschichten, die Robert und Konstanze erfunden
haben, um uns zu inspirieren? Shub hat mir vieles
erzählt, aber am Ende erblickte ich nur einen Mann
namens Owen. Ein großer Mann, gewiss, aber was
immer mein Ahne war, er war nicht der Gott, den
man uns seit zweihundert Jahren verkauft.«
Anne runzelte die Stirn. »Vielleicht nicht. Darauf
kommt es nicht an. Dein Vorfahre und seine Freunde
haben ein Wunder gewirkt, indem sie Löwenstein
und ihr böses Imperium stürzten und die Grundlagen
für unser goldenes Zeitalter legten. Vielleicht schaf
fen sie das erneut. Sie könnten immer noch leben,
irgendwo da draußen. Die große Suche ist notwen
dig, Lewis! Wir müssen Owen finden, sei es auch
nur, damit er uns aufs Neue inspiriert. Sag mir: Falls
du es sein solltest, der den gesegneten Owen findet
… was würdest du ihm sagen?«
Lewis seufzte. Er hatte versucht, die Wahrheit lei
se anzudeuten, aber sie wollte sie gar nicht hören. Er
dachte ernsthaft über Annes Frage nach und stellte
verblüfft fest, dass ihm eine Antwort darauf so wich
tig war wie ihr.
»Ich denke, ich würde ihn fragen … wo er die Kraft
gefunden hat, so viele schwierige Entscheidungen zu
treffen. Und vielleicht … würde ich ihn bitten, zu
rückzukehren und der Todtsteltzer zu sein, damit ich
diese Rolle nicht mehr zu spielen brauche. Selbstsüch
tig, ich weiß. Manchmal jedoch wiegt dieser Name so
verdammt schwer! Allein seinetwegen erwarten die
Leute so viel von mir. Und genau wie Owen erlaubt
man mir nicht, einfach nur ein Mensch mit menschli
chen Bedürfnissen und Schwächen zu sein …«
Er stand unvermittelt auf und knallte den Kaffee
becher auf Annes Schreibtisch, wobei er überall hei
ßen Kaffee verspritzte. Er schritt durch das Büro, oh
ne Anne anzublicken, umkreiste den beengten Raum
ein ums andere Mal wie ein Tier im Käfig, während
ihn Anne von ihrem Stuhl aus wachsam im Auge be
hielt. Er runzelte die Stirn und blickte in die Ferne;
das hässliche Gesicht war von Zorn und Enttäu
schung erfüllt und von etwas, was vielleicht Ver
zweiflung war. Kaum beherrschte Gewalttätigkeit
zeigte sich in den gespannten Muskeln seiner Arme,
der Haltung seiner Schultern und dem schweren
Schritt seiner Füße. Es ängstigte Anne, Lewis so zu
sehen, einen starken Mann, den die Unentschlossen
heit lähmte. Er ging immer schneller, die Fäuste so
heftig geballt, dass die Fingerknöchel weiß geworden
waren. Früher oder später würde er auf irgendetwas
losgehen, und die einzige Frage dabei war, wer – au
ßer ihm – verletzt werden würde.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Anne!« Seine
Stimme klang rau und brutal, und sie zuckte beim
bloßen Laut zusammen.

Weitere Kostenlose Bücher