Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
zärtlich auf die Stirn. »Zu
zeiten ist jedoch das einzig Ehrenhafte, was einem zu
tun bleibt: die Hand vom Rettungsboot nehmen und
ertrinken. Lebewohl, Anne. Ich denke nicht, dass wir
einander je wieder begegnen. Als Erstes muss ich die
Hand behandeln lassen, und dann wartet eine Menge
Arbeit auf mich, denn ich muss die Logistik der gro
ßen Suche planen. Ich bin bei der Hochzeit nicht zu
gegen. Und ich denke nicht … dass ich jemals zu
rückkehren werde. Sollen Douglas und Jesamine ihr
gemeinsames Leben haben, ohne dass ein Gespenst
beim Festmahl auftaucht und es verdirbt.« Er lächelte
schließlich, aber es war ein trauriges Lächeln. »Wer
weiß – womöglich finde ich irgendwo dort draußen
bei der großen Suche eine Antwort auf all meine
Kümmernisse. Hier finde ich verdammt sicher kei
ne.«
Daraufhin verließ er Annes Büro und blickte nicht
zurück. Er duckte sich an der prekär in der Lücke
lehnenden Tür vorbei und war verschwunden. Anne
blickte ihm schweigend nach und weigerte sich, auch
nur eine einzelne Träne zu vergießen, und schließlich
wandte sie sich ab. Sie hatte Arbeit zu tun und Anru
fe zu tätigen.
Douglas Feldglöck, König und Parlamentspräsident
des Imperiums, tat das, was er immer tat, wenn er
nicht mehr weiter wusste, wenn er verwirrt war und
aufs Neue die Richtung finden musste. Er flog nach
Hause. Er flog den ganzen Weg bis nach Hause, zu
dem alten Herrenhaus auf dem Land, wo er aufge
wachsen war. Weit draußen vor der Stadt, weit von
allem entfernt, erhob sich Haus Feldglöck allein aus
den riesigen Gärten des Anwesens, über die Jahrhun
derte hinweg Heimat und Zuflucht für Generationen
von Feldglöcks.
Douglas’ Vater William hatte sich nach dem
Thronverzicht hierher zurückgezogen, um im Garten
herumzuwerkeln und den Historiker zu spielen, für
den er sich schon immer gern gehalten hatte. Er
schien recht glücklich, als er hörte, dass sein Sohn
ihn besuchen würde. Den Grund verriet Douglas ihm
nicht. Um die Wahrheit zu sagen, wusste er es selbst
nicht so recht. Vor allem musste er mal weg von dem
ganzen Lärm, von all den Entscheidungen, die zu
fällen waren, von all den Leuten, die sich so verzwei
felt darum bemühten, bei ihm Gehör zu finden. Dou
glas wollte mal für eine Zeit vor dem ganzen Druck
flüchten und in Ruhe nachdenken.
Zu Hause!
Er lenkte den Flieger selbst und nahm weder einen
Piloten noch eine Leibwache mit. Nur er und das
Flugzeug hoch am Himmel. Seine vielen Vertrauten
und Ratgeber, darunter eindeutig Anne, hatten kräftig
Lärm geschlagen, als er sie unverblümt von seinen
Absichten informierte, aber er weigerte sich, ihrem
Druck nachzugeben und vernünftig zu sein. Er war
verdammt viel länger Paragon gewesen als König
und völlig dazu fähig, mal eine Zeit lang auf sich
selbst aufzupassen. Außerdem war der Flieger mit
eigenen Geschützen und Kraftfeldern ausgestattet
und mit so vielen Computern, dass er sich praktisch
selbst steuerte.
Douglas brauchte mehr als eine Stunde, um das al
te Herrenhaus zu erreichen, obwohl er mit Höchstge
schwindigkeit einer für ihn reservierten Route folgte.
Es war ihm egal. So fand er wenigstens Zeit, mal
richtig zu entspannen, und er genoss die Aussicht auf
die vorbeiziehende Landschaft. Logres war außer
halb seiner Riesenstädte immer noch eine leuchtende
und wunderbare Welt, voller wunderschöner Ausbli
cke und sanft gewellter Panoramen. Ihm kam der
Gedanke, dass er hier das wahre Logres sah, die ech
te Heimatwelt des Imperiums – und nicht in den
übervölkerten Labyrinthen der Städte. Dieser Planet
war tatsächlich voller Wunder und Anblicke, die dem
Auge gefielen und das Herz mit Staunen füllten; zu
zeiten konnte einem allzu viel Schönes aber auch leid
werden.
Douglas setzte die Maschine lässig auf dem priva
ten Landeplatz direkt neben dem Anwesen der Fami
lie auf, und nachdem er alle Anlagen ausgeschaltet
hatte und ausgestiegen war, stand er eine Zeit lang
einfach nur am Rand des Landeplatzes und blickte
über die von fachkundiger Hand gestaltete Land
schaftsarchitektur vor ihm hinweg. Er hatte den Ein
druck, den Garten noch nie so schön erblickt zu ha
ben. (Wobei er sich allerdings bemühte, nicht auf die
bewaffneten und gepanzerten Wachleute zu achten,
die schweigend die Grenze des Anwesens patrouil
lierten. Er wusste, dass sie nötig waren; obwohl Wil
liam nicht mehr die Krone trug, bildete er immer
noch ein Ziel für alle Arten von
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