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Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe

Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe

Titel: Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todtsteltzers Erbe
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Lewis bemerkte es nicht.
»Alles, woran ich geglaubt habe, scheint auf Sand
gebaut, und die Flut spült es weg. Niemand ist der,
für den ich ihn gehalten habe, nicht mal ich selbst.
Wohin ich sehe, fällt die Welt auseinander. Die Leu
te sind verrückt geworden; alle unsere Institutionen
sind wie gelähmt, und der Schrecken ist letztlich
doch eingetroffen und geht direkt auf unsere Kehle
los. Ich finde endlich nach so vielen einsamen Jahren
die Liebe und muss sie wieder aufgeben. Nur wegen
meines verdammten Vorfahren darf ich nicht ans ei
gene Leben denken, an die eigenen Bedürfnisse und
Wünsche. Ich bin ein Paragon und ein Todtsteltzer,
also muss ich über all das erhaben sein. Ich muss …
ich muss …«
Er brach in Tränen aus; heisere Laute erschütterten
auf einmal den ganzen Körper, und Tränen liefen
ihm stoßweise über das hässliche Gesicht. Er blieb
stehen und schlug mit der Faust auf die Wand ein. Er
tat es immer wieder mit aller Kraft und Verzweif
lung, bis ihm die Knöchel blutig wurden. Anne riss
die Hände vor den Mund, als sie hörte, wie Knochen
brachen. Blut lief an der Wand herab, als Lewis’
Faust in einem fort dagegenkrachte, während er die
ganze Zeit weinte, als bräche ihm das Herz. Anne
rappelte sich langsam auf, trat hinter ihn und legte
ihm zögernd die Hand auf die Schulter. Er warf sich
schwer atmend herum, und seine Mimik zuckte hef
tig; dann drückte er Anne an sich, klammerte sich
wie ein Kind an sie. Sie wiegte ihn sanft, während er
weinte, und murmelte ihm beruhigende Worte zu, als
er das Gesicht an ihrem Hals vergrub. So hielten sie
einander fest wie in ihren Kindertagen, wo sie auch
schon das Gefühl gehabt hatten, dass die ganze Welt
gegen sie war. Schließlich gingen Lewis die Tränen
aus und ließen nichts in ihm zurück als eine schreck
liche, leere Müdigkeit.
Und am Ende war er es, der zuerst losließ, der sich
aufrichtete und Anne sachte wegschob. Er war im
mer derjenige gewesen, der sich zu den harten, rauen,
notwendigen Dingen aufraffte. Anne wich zurück
und musterte ihn nachdenklich. Lewis fand ein sau
beres Taschentuch und wischte sich die Augen ab.
Die Hände waren jetzt ganz ruhig. Er blickte auf die
blutige, gebrochene Hand, zuckte zusammen, als ihm
zum ersten Mal die Schmerzen bewusst wurden, und
wickelte sie unbeholfen in das Taschentuch. Anne
sah ihm dabei zu und spürte, wie sich langsam kalter
Schmerz in ihrer Brust ausbreitete, dort, wo das Herz
gewesen wäre, hätte sie an sentimentale Dinge wie
Herzen geglaubt; und ehe sie sich bremsen konnte,
sprudelten die Worte hervor.
»Lewis, vielleicht … könnten wir fliehen! Du und
ich gemeinsam. Und all das hier vergessen. Einfach
… auf ein Schiff springen, irgendeines, irgendwohin
fahren und all das hier zurücklassen! Zur Hölle mit
allem, zur Hölle mit allen außer uns! Uns beiden ge
fällt nicht, wer und was wir geworden sind, seit wir
hier eintrafen. Auf diesem Planeten, in dieser Stadt,
in diesem Leben. Noch ist es nicht zu spät! Wir
könnten immer noch …«
»Nein«, erwiderte Lewis leise. »Nein, das geht
nicht. Wir können das nicht tun und noch Respekt
vor einander und uns selbst haben. Ich kann nicht
einfach fortgehen! Nach wie vor trage ich Verant
wortung, habe meine Pflicht zu tun und meiner Ehre
gerecht zu werden. Vielleicht sind diese Dinge ein
bisschen stumpf geworden, aber sie sind alles, was
meinem Leben noch Sinn gibt. Ich kann sie nicht
aufgeben und gleichzeitig ich selbst bleiben. Ich habe so viel verloren und muss noch viel mehr aufgeben;
aber nach wie vor weiß ich, was es bedeutet, ein
Todtsteltzer zu sein.«
»Pflicht und Verantwortung«, sagte Anne rau.
»Ich bin dieser Worte so überdrüssig! Wir haben ih
nen unser Leben gewidmet, aber was haben diese
Werte jemals für uns getan? Haben sie uns zufrieden
gestellt? Haben sie uns glücklich gemacht?«
»Könnten wir jemals anderswo glücklich sein in
dem Bewusstsein, dass wir uns von den einzigen
Dingen abgewandt haben, an die wir je wirklich
glaubten? Nein, Anne, manchmal … muss man ein
fach tief Luft holen und mit den Karten spielen, die
einem zugeteilt wurden. Denn mit allem anderen
würden wir uns selbst verraten, aus unserem Leben
eine Lüge machen.«
»Das ist deine letzte Chance, Lewis«, gab Anne zu
bedenken. Ihre Augen blickten flehend, aber der Ton
war eiskalt.
»Ich weiß«, sagte Lewis. »Glaube mir, ich weiß.«
Er trat vor und küsste sie

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