Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
trotz
dem das Gefühl, dass irgendwas hier im Büro zwi
schen ihnen beiden in der Luft lag. Vielleicht unaus
gesprochene Worte. Getroffene Entscheidungen, für
die nie um Verzeihung gebeten werden konnte, die
nicht wieder geradezubiegen waren. Distanz lag zwi
schen ihnen, eine unterschwellige Anspannung, die es
nie zuvor gegeben hatte. Auch während er still dasaß
und Kaffee trank, wirkte der Todtsteltzer gefährlich.
Zum ersten Mal in ihrem Leben bemerkte Anne, dass
sie sich in Lewis Gegenwart nicht ganz sicher fühlte.
»Oh Gott, Lewis!«, sagte sie schließlich. »Wie
konnte es mit uns nur so weit kommen? Was hat Jes
aus dir gemacht? Früher hattest du mehr Verstand …«
»Ein einziges Mal wollte ich einfach nur glücklich
sein.«
»Und zum Teufel damit, was es für alle anderen
kostete?«
»Liebe ist manchmal tückisch«, sagte Lewis.
»Dazu kann ich nichts sagen.«
Eine weitere lange Pause trat ein, in der sie beide
nach Worten suchten, die einen Sinn aus dem ge
wannen, was aus ihnen geworden war. Worte, die
eine breiter werdende Kluft überbrückten, eine Kluft,
die sie in verschiedene Welten führte. Worte, die sie
über diesen Abgrund hinwegbrüllen konnten, wie
Rettungsleinen, von Schiffen aus geworfen, die in
unterschiedliche Richtungen segelten.
»Nichts davon war meine freie Entscheidung«,
sagte Lewis. »Ich hatte so lange ohne Liebe gelebt,
dass ich schon dachte, ich könnte notfalls für immer
ohne sie leben. Ich hatte andere Dinge, die meinem
Leben Sinn und Bedeutung verliehen. Ich hatte
Pflicht und Ehre. Ich hatte Freunde, gute Freunde …
für die ich notfalls gestorben wäre. Ich hatte eine Ar
beit, die wichtig war, und konnte im Leben etwas
bewirken. Ich war meist glücklich. Und dann er
schien die Liebe aus der hohlen Luft heraus, und mir
wurde klar, dass ich noch nie erlebt hatte, was Glück
bedeutet. Das einzige Problem dabei: Ich musste da
für alles andere aufgeben, was mir etwas bedeutete.
Gib Jes nicht die Schuld an irgendetwas daran. Wir
waren einfach … zwei Menschen, die sich im Inte
resse der ganzen übrigen Welt besser nie begegnet
wären. Wir haben uns so bemüht, auf Distanz zuein
ander zu bleiben, Anne; wir haben uns so bemüht,
das Richtige zu tun und uns den Teufel darum zu
scheren, was es uns kostete! Aber das Universum
schien sich fast verschworen zu haben, uns zusam
menzuführen.«
»Oh klar doch«, sagte Anne. »Es ist nicht deine
Schuld. Das ist sie nie. Das Universum hat euch ein
fach ins Bett geschubst.«
Lewis sah sie böse an. »Versuche ja nicht so zu
tun, als wäre es uns nur um Sex gegangen, Anne! Ich
bin alt genug, um den Unterschied zwischen meinem
Herzen und meinem Ding zu kennen. Ich liebe Jes,
und sie liebt mich. Und ja, wir haben miteinander
geschlafen. Und es war wundervoll!«
»Schön genug, um deine Seele dafür zu verkau
fen? Du erzählst mir nichts, was ich nicht schon
wüsste, Lewis. Und wenn ich es weiß, wird es nicht
lange dauern, ehe andere auch davon erfahren. Du
kannst so etwas nicht geheim halten. Jes … ist das
alles nicht wert, Lewis. Ich habe dergleichen schon
zwischen ihr und anderen Männern erlebt. Ich kenne
sie viel länger als du.«
»Diesmal ist es anders!«
»Das sagen sie alle! Denkst du, du wärst der erste
Mann, der sich bei mir über Jes ausweint? Ich war
vorher schon dabei, und es endet immer traurig.«
»Ich dachte, sie wäre deine Freundin.«
»Das ist sie. Deshalb hege ich auch keinerlei Illu
sionen über sie. Obwohl … ich diesmal glaubte, sie
hätte mehr Verstand. Ich dachte, du brächtest mehr
Integrität auf! Bemühe dich nicht um meine Verge
bung oder meine Hilfe. Erwarte nicht, dass ich dir
auf die Schulter klopfe und sage: Heh, so was pas
siert nun mal! Wir sprechen hier von Verrat, Lewis!
Wenn diese Sache ans Licht kommt – und dass dies
früher oder später gewisslich geschieht, darauf
kannst du deinen letzten Kredit verwetten! –, könnte
es Thron und Parlament vernichten und alles andere,
was wir schon unser Leben lang unterstützt und wor
an wir geglaubt haben!«
»Ich weiß. Aber bald … wird alles vorbei sein. Sie
wird Douglas heiraten, und ich breche zur großen
Suche auf. Und letztlich wird sich der Spruch be
wahrheiten: Und wenn sie nicht gestorben sind, so
leben sie noch heute!«
Anne musterte ihn scharf. »Da klang etwas in dei
ner Stimme mit … als du gerade von der großen Su
che gesprochen hast. Glaubst du nicht mal mehr dar
an?«
Lewis zögerte
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