Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
Überrascht sah sie draußen Stuart Lennox stehen, den jungen Paragon von Virimonde. Sie hätte
gar nicht erwartet, dass er mit ihr reden wollte. Noch
mehr überraschte sie, dass sein Gesicht Spuren kürzlichen Weinens zeigte. Sehr kürzlichen Weinens. Erneut seufzte Emma. Das würde eine komplizierte Sache werden; sie wusste es genau! Sie schloss die Tür
auf, öffnete sie und warf Stuart den kältesten Blick
zu, den sie draufhatte.
»Es war ein sehr langer Tag«, erklärte sie kategorisch. »Und ich kann gar nicht glauben, dass Ihr zu
dieser späten Stunde den ganzen Weg zurückgelegt
habt, um mir gute Nachrichten zu überbringen. Also,
was ist passiert?«
Stuart schluckte geräuschvoll. Seine Augen waren
rot und verschwollen, und jede Selbstachtung war
aus ihm gewichen. Er sah wie ein Kind aus, das sich
als Paragon verkleidet hatte. »Alles ist schief gegangen, Emma. Ihr müsst mir helfen.«
»Nennt mir nur einen guten Grund.«
»Ihr seid die Einzige, die helfen kann!«
»Warum wendet Ihr Euch nicht an Euren guten
Freund Finn Durandal?«
Stuart brach in Tränen aus – laute, hilflose, trostlose Schluchzer, die den ganzen Körper erschütterten.
Er stand einfach nur da, als wäre ihm nicht mal die
Kraft verblieben, um die Hände zu heben und sich
das Gesicht abzuwischen. Emma verdrehte die Augen himmelwärts und gab den Weg frei.
»Oh, in Ordnung! In Ordnung! Tretet schon ein,
ehe die Nachbarn Euch sehen. Und hört auf zu flennen – Ihr seid ein Paragon!«
Stuart bemühte sich angestrengt darum und rieb
sich mit dem Handrücken die Nase, während er Emmas Wohnung betrat. Er ging, als wäre etwas in ihm
zerbrochen, und plumpste dann förmlich in den
nächsten Sessel. Emma warf noch rasch einen Blick
nach rechts und links durch den Flur, schloss die Tür
und verschloss sie dann wieder. Sie baute sich mit
den Händen in den Hüften vor Stuart auf und bemühte sich, eine finstere Miene zu vermeiden.
»Redet mit mir, Lennox. Was ist passiert?«
Er zog ein paar Mal die Nase hoch und brachte ein
leises, unsicheres Lächeln zustande. »Wenn sie einen
zum Paragon ausbilden, bringen sie einem bei, wie
man gegen alles kämpft – nur nicht, wie man es gegen sich selbst tut. Das eigene Herz, die eigenen …
Bedürfnisse. Ich dachte, ich wüsste, worauf ich mich
einließ, aber ich habe mich geirrt. So sehr geirrt!« Er
blickte sich scharf um. »Habt Ihr nicht auch gerade
etwas gehört? War sonst noch jemand draußen im
Flur? Nein, natürlich nicht, Ihr hättet ja etwas gesagt.
Verzeihung. Verzeihung. Ich möchte gar nicht so
nervös sein, aber … Finns Leute sind heutzutage einfach überall. Ich denke nicht, dass er schon weiß,
was passiert ist, aber er wird es erfahren. Und dann
… Ich habe alles getan, was mir nur einfiel, um sicherzustellen, dass mir niemand hierher folgte, aber
… Es ist schwierig, sich heute überhaupt noch einer
Sache sicher zu sein.«
Emma hätte ihn am liebsten an den Schultern gepackt und kräftig durchgeschüttelt, aber sie fürchtete,
dass er dann womöglich ganz zusammenbrach. Es
beunruhigte sie, einen Paragonkollegen so … fertig
zu erleben. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich
ihm gegenüber.
»Fasst Mut«, sagte sie gar nicht mal unfreundlich.
»Wie schlimm die Lage auch immer ist, Ihr solltet
niemals verzweifeln. Das gehört zu den ersten Dingen, die man als Paragon angeblich lernt.«
Er lächelte wieder, aber es war ein humorloses Lächeln. »Ein Paragon zu sein hat nicht mehr die Bedeutung von einst.«
Emma seufzte, aber sie tat es nur innerlich. Sie
wusste, wann eine lange Geschichte im Anrollen
war. »In Ordnung, Lennox. Von Anfang an.«
Er schluckte schwer und bemühte sich erkennbar
darum, sich zusammenzureißen. Er hob das Kinn und
erwiderte endlich Emmas Blick offen. »Heute Abend
ist im Heiligen Gral etwas passiert. Etwas Schlimmes. Ich weiß, Ihr habt mich gewarnt, aber … Die
Lage dort ist mit der Zeit schlimmer geworden. Ihr
könnt Euch gar nicht vorstellen, was ich gesehen habe. Was ich Paragone habe tun sehen. Niemand sonst
geht mehr im Heiligen Gral einen trinken, nur noch
Paragone, die von der großen Suche zurückgekehrt
sind. Sogar die Groupies haben inzwischen Angst
hinzugehen. Die Paragone erforschen neuerdings extremere Freuden, und niemand traut sich zu protestieren. Ich kannte einige dieser Leute früher schon,
sie haben sich total verändert. Sie alle haben sich
verändert. Männer und Frauen, die einst meine Helden
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