Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
erklärte ihr, dass sie höchstens
zehn Minuten Zeit hatte, und kehrte wieder zu dem
Bildschirm in seinem winzigen Büro zurück, um sich
dort weiter James’ Begräbnisprozession anzusehen.
Emma lag auf einem Metalltisch, nur durch eine
Nummer gekennzeichnet. Sie trug den vorgeschriebenen weißen Hänger und ein Tuch, das die Kopfverletzungen verbarg. Nina fuhr mit den Fingerspitzen über Emmas kalte braune Wange. Sie hatte ihr so
vieles sagen wollen, ihr Rache und Vergeltung und
so viel mehr versprechen wollen, aber jetzt … kam
ihr das im Angesicht des Todes alles so kleinlich vor.
Emma wirkte kleiner als im Leben, schien geschrumpft, wie eine hochwertige Puppe, die jemand
sorglos behandelt und zerstört hatte. Etwas unendlich
Kostbares, das für immer ruiniert war. Man hätte sie
zumindest in ihrer Paragonrüstung stecken lassen
sollen. Sie hätte es verdient gehabt, in allen Ehren
aufgebahrt zu werden. Aber durch den Angriff auf
Anne Barclay hatte sie sich nur als ein weiterer Verräter offenbart. Nur ein weiterer Paragon, der dem
Bösen verfallen war. Nina konnte es einfach nicht
glauben, als sie die Nachrichten in ihrem Büro beim
Sender hörte, wo sie etwas Arbeit zu erledigen versuchte, während sie auf Emmas Rückkehr wartete.
Anne Barclay? Also gab es doch wirklich niemanden
mehr, dem man trauen konnte.
»Sie haben dich hinterrücks niedergeschlagen«,
stellte Nina schließlich fest, und ihre Stimme klang
dünn und verloren in der überwältigenden Stille des
Kühlraums. »Anders hätten sie dich nicht überwältigen können. Sie hatten schon immer Angst, sich dir
offen zu stellen. Aber sie werden dafür bezahlen,
Emma, sie alle. Mit deiner Hilfe.« Ihre Hand wanderte zum Ärmel und zu dem versteckten Paragondietrich und den handschriftlichen Notizen, die Emma hinterlassen hatte. »Ich habe einen Plan, Emma.
Einen simplen Plan vielleicht, aber andererseits war
ich nie ein sehr komplizierter Mensch. Ich werde
Finns verdorbenes Regime stürzen und auf seiner
Asche tanzen. Nur für dich, meine geliebte Emma.
Nur für dich!«
Stuart Lennox war mit schweren Stahlketten, die bei
jeder Bewegung laut klimperten, an die Wand seiner
Arrestzelle gefesselt. Er sollte in ein Hochsicherheitsgefängnis überführt werden, aber niemand zeigte Eile. Er sollte auch durch Medikamente ruhig gestellt werden, aber der Gefängnisarzt hielt ihn vorläufig für zu schwach dafür. Es war egal. Jeder konnte
einen gebrochenen Mann erkennen, wenn er ihn sah.
Man hatte ihm einen Proteinwürfel und einen Becher
Wasser gebracht, aber er hatte beides nicht angerührt.
Er war sehr in Gedanken versunken.
Ungeachtet aller Ereignisse hatte er bis zum heutigen Tag fest an Finn geglaubt, tief davon überzeugt,
dass sich dieser Mann etwas aus ihm machte. Ihn auf
seine eigene Art sogar liebte. Es war hart zu erkennen, wie dumm das gewesen war. Der heutige Tag
wirkte da wie ein Schwall kalten Wassers mitten ins
Gesicht, der Stuart aus einem wohligen Traum riss.
Na ja, jetzt war er wach und konnte wieder scharf
nachdenken. Früher oder später würde man ihn holen
und in Anbetracht eines gebrochenen Mannes entspannt und sorglos zu Werke gehen. Man würde einen Fehler machen, ihm eine Lücke bieten, und dann
… gedachte ihnen Stuart Lennox zu zeigen, dass er
immer noch ein Paragon war.
Er nahm den Proteinwürfel zur Hand, biss kräftig
hinein und kaute hungrig.
Vor der Zelle wurde es laut, und Stuart blickte
neugierig auf. Es wurde gerungen und geschrien und
auf einmal eine Strahlenwaffe auf kurze Distanz abgefeuert. Stuart war sofort auf den Beinen. Etwas
passierte. Er spürte es richtig. Er packte die Ketten
mit beiden Händen und hielt sich bereit, sie notfalls
als Waffe einzusetzen. Das Schloss der schweren
Stahltür ging auf, und Stuart hielt sich bereit, eine
letzte Chance auf Flucht oder Rache zu ergreifen.
Oder zumindest darauf, tapfer zu sterben. Die Tür
ging auf, und eine jung Frau in Schwarz – mit hohem
rosa Irokesenschnitt, einer richtig dicken Knarre in
einer Hand und einem Paragondietrich in der anderen
– grinste ihn fröhlich an.
»Hallo da! Ich bin Nina Malapert, Reporterdämonin. Emma Stahl war meine Partnerin und Freundin,
und Finns Leute haben sie umgebracht. Also dachte
ich mir, du und ich, wir könnten uns vielleicht zusammentun und etwas gegen Finn unternehmen. Was
denkst du, Süßer?«
»Klingt für mich nach einem guten Plan«, sagte
Stuart. »Schließ diese
Weitere Kostenlose Bücher