Gregor Bd. 5 - Gregor und das Schwert des Kriegers
Sie wollte ihn nicht umbringen, nur bestrafen, erniedrigen und seinen Willen brechen. Er nahm den Teller und leckte ihn sauber. Er hätte zehn Mal so viel essen können, aber immerhin hatte er jetzt keine Bauchschmerzen mehr vor Hunger.
Mehr hatten sie nicht gebracht, nur das Essen auf einem Tablett. Gregor musste jetzt wirklich dringend zur Toilette. Er wollte nicht auf den Boden pinkeln, also nahm er den Becher.Dann verzog er sich wieder in seine Ecke und rollte sich auf dem Boden zusammen.
Die Dunkelheit machte ihm immer noch zu schaffen, er hatte fast das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Er machte die Augen fest zu und stellte sich vor, er läge an einem warmen Tag auf einer Wiese im Central Park. Er spürte die Sonne auf der Haut. Er könnte sich eine Brezel kaufen, dick mit Senf bestrichen. Boots eine Karussellfahrt spendieren. Dann im Streichelzoo das Schwein füttern, über das Boots immer so lachen musste, dass sie Schluckauf bekam.
Aber es nützte nichts. Gar nichts. Er konnte sich nicht aus diesem nasskalten, öden Loch herausträumen. Er hatte das Gefühl, es nicht viel länger ertragen zu können. Er brauchte Licht, er brauchte Menschen, er musste wissen, was los war! War Luxa am Leben oder nicht? Das war das Schrecklichste, was Solovet ihm angetan hatte – sie hatte ihn von der Welt abgeschnitten. Wie konnte sie das tun? Und wieso merkte niemand, dass er verschwunden war? Stunden waren jetzt schon vergangen, vielleicht sogar Tage. Kümmerte es keinen, wo er war? Plötzlich war er so außer sich, dass er sich auf die Lippe beißen musste, um nicht loszuschreien.
Und dann passierte etwas, das seine gesamte Wahrnehmung der Welt veränderte. Gregor hustete. Es war nur ein kleines Husten. Aber in dem Moment, als das Geräusch aus seinem Mund kam, war es, als wäre ein Blitz durch den Raum gegangen. Er konnte sehen! Na ja, nicht richtig sehen, denn es war immer noch dunkel. Aber er wusste ganz genau, wie weit die gegenüberliegende Wand entfernt war. Als wäre ein Bild in seinem Kopf entstanden. Aus der Verzweiflung gerissen, setzte Gregor sich auf und hustete noch einmal. Da war das Tablett, der Teller, der Becher. Irgendwo in seinem Gehirn nahm er die Formen auf dem Boden wahr, wie Silhouetten. Aber da war noch mehr. Der Becher leuchtete rötlich, das ließ an Wärme denken. Warum? Gregor rutschte hinüber und legte die Hand um den Becher. Er war immer noch pipiwarm.
Also hatte er es am Ende doch kapiert. Was Ripred ihm unbedingt beibringen wollte und Gregor einfach nicht begreifen konnte. Ultraschallortung. Die vielen Stunden, die er damit verbracht hatte, in der dunklen Höhle zu schnalzen und zu versuchen, Ripred zu lokalisieren, wobei er immer wieder jämmerlich versagt hatte, waren nicht vergebens gewesen. Er hatte Radar! Wie eine Fledermaus! Er verteilte die wenigen Gegenstände, die ihm zur Verfügung standen, im Raum und schnalzte und hustete in ihre Richtung. Es war nicht nur Zufall gewesen; er hatte nicht kurzzeitig den Verstand verloren. Er konnte alles »sehen«, selbst das Foto von Luxa, das er in der Tasche hatte. Er konnte nicht erkennen, was auf dem Foto war, nur das kleine, flache Viereck. Aber vielleicht würde das mit der Zeit noch kommen.
Die Beschäftigung mit seiner wunderbaren neuen Gabe bewahrte ihn davor, den Verstand zu verlieren. Bewahrte ihn davor, zusammenzubrechen und seine Wachen um Freiheit anzuflehen. Und er wusste, dass er das nicht tun durfte. Solovet durfte nicht gewinnen. Er musste diesen Kerker genauso unbeeinflusst von ihr verlassen, wie er ihn betreten hatte, sonst würde er ihr Spielball in diesem abscheulichen Krieg werden. Und erwollte lieber tot sein, als das zuzulassen. Wenn er es zuließe, dass diese Frau Macht über ihn bekam, würde nichts mehr von ihm übrig bleiben.
Anstatt weiter zu grübeln, versuchte er sein Kampfgeschick mit der Ultraschallortung zu verbinden. Im Wüterzustand klappte es sogar noch besser! Schon der leichte Kick, den ihm das Üben mit dem Schwert gab, steigerte seine Fähigkeiten in Ultraschallortung. Da war die Wand! Da war der Teller! Da die Tür! Die Spitze seines Schwerts berührte alles der Reihe nach. Er konnte es gar nicht abwarten, Ripred davon zu erzählen!
Nach einem ordentlichen Training lehnte er sich an die Wand, um zu verschnaufen. Endlich waren seine Kleider trocken. Er fror nicht mehr. Er war wie elektrisiert von der Ultraschallortung und begann Fluchtpläne zu schmieden. Irgendwann würde wieder jemand die
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