Gregor Bd. 5 - Gregor und das Schwert des Kriegers
zu erfragen, ob man ihn noch bei der Luftbrücke brauchte. Gregor und Luxa blieben unschlüssig im Flur stehen, als Ripred vorbeikam. »Ihr beiden. Wir treffen uns in einer halben Stunde an der Stadtmauer. Da könnt ihr euch mal angucken, womit wir es zu tun haben.«
Als er weg war, schaute Luxa Gregor an. »Was glaubst du, warum er uns eine halbe Stunde Zeit lässt?«
»Ich weiß nicht«, sagte Gregor. Dann dachte er an das Gespräch, das er in der Nacht mit angehört hatte. Dass Ripred alle verloren hatte und »nicht mal Abschied nehmen« konnte. War die halbe Stunde ein Geschenk, damit Luxa und Gregor es anders machen konnten? Wenn es so war, wollte Gregor die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. Er wollte mit ihr allein sein und richtig mit ihr reden. Aber wo konnten sie hin? Im Palast wimmelte es von Leuten. Da hatte er eine Idee. Das Museum! Vielleicht, ganz vielleicht war es ja gesperrt. »Komm mit, ich will dir was zeigen.«
Sie sah ihn fragend an, widersprach jedoch nicht, als er ihre Hand nahm und sie durch die Gänge führte. Die meiste Zeit mussten sie hintereinandergehen, weil es so voll war, aber sie ließen sich nicht los. Er hatte recht gehabt. Nicht nur das Museum war gesperrt, auch der ganze Flur, der dorthin führte. Sie stiegen über das Seil und schlüpften hinein.
Als Gregor drin war, wusste er nicht so recht, was er machen sollte.
»Was wolltest du mir zeigen?«, fragte Luxa.
Er hatte sich nichts überlegt, was er ihr zeigen könnte. Er wollte nur irgendwohin, wo er mit ihr allein sein konnte. Wo sie reden konnten, ohne dass jeder alles mit anhörte. Aber jetzt, wo sie im Museum waren, fand er es peinlich, das zu sagen. »Öhm, ich dachte nur …« Gregors Blick blieb an dem Stapel Fotos von Hazards Geburtstagsfeier hängen. »Die Bilder da«, sagte er. »Ich dachte, dass du die vielleicht sehen möchtest.«
Er legte ein paar Mäntel und ein altes Leinentuch auf den Boden und dann setzten sie sich, lehnten sich ans Regal und schauten sich die Fotos an. Das heißt, Luxa schaute sich dieFotos an und Gregor schaute vor allem sie an. Sah die unterschiedlichen Gefühle über ihr Gesicht huschen. Wie sie sich freute über die festliche Dekoration der Arena. Wie sie lachte über das Foto von Boots im Prinzessinnenkostüm, die Temp mit Kuchen fütterte. Wie traurig sie aussah bei dem Schnappschuss von Hazard, der die Arme um Thalia geschlungen hatte, der kleinen Fledermaus, die beim Vulkanausbruch in den Feuerländern ums Leben gekommen war.
»Ich glaube, das könnte Hazard helfen«, sagte Luxa. »Er fürchtet, die Gesichter derjenigen zu vergessen, die er liebte. Das Gesicht seiner Mutter kann er sich kaum noch in Erinnerung rufen. Er glaubt, sich an Hamnet erinnern zu können, weil er mir so ähnelte, und Frill sieht er immer noch vor sich.«
»Ja, Frill kann man kaum vergessen«, sagte Gregor und hatte die bemerkenswerte Rieseneidechse genau vor Augen.
»Doch er fürchtet, Thalia zu verlieren«, sagte Luxa. »Darf ich ihm das geben?«
»Klar«, sagte Gregor. »Such welche für euch beide aus.«
Luxa ging die Fotos durch und wählte einige aus, aber dann runzelte sie die Stirn. »Es gibt keine anderen Fotos von uns beiden. Wir sollten jeder eines haben.«
Sie hatte recht. Er hatte ihr das Foto geschenkt, auf dem sie miteinander tanzten, und jetzt hätte er gern noch einen Abzug gehabt. Etwas, das er bei sich tragen könnte, bis … na ja, bis es keine Rolle mehr spielte. »Vielleicht ist noch ein Film in der Kamera«, sagte er. Tatsächlich. Und da es eine Sofortbildkamera war, konnten sie die Fotos gleich haben. Also hielt er die Kamera vor ihre Gesichter und verknipste den Rest des Films. Einpaar Minuten lang versank die Welt außerhalb des Museums und sie waren zwei ganz normale Zwölfjährige, die herumalberten, als wären sie in einem Passbildautomaten, sie schnitten Grimassen und lachten. Aber als Gregor sagte: »Okay, jetzt das letzte Bild«, da passierte etwas. Sie rückten enger zusammen, ihre Schläfe an seiner Wange, die Albernheit war weg. Das letzte Bild, dachte Gregor, als sich das Foto langsam entwickelte. Das allerletzte Bild. Sie hatten sich beide ein Lächeln abgerungen, doch gleichzeitig waren ihre Gesichter voller Trauer. So waren sie wirklich. Nicht zwei sorglose Freunde, deren nächste große Entscheidung es war, ob sie lieber Eis essen oder ins Kino gehen wollten, sondern zwei Menschen, die wussten, dass vor ihrer Tür ein Krieg tobte, der sie jeden Moment
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