Gregor Bd. 5 - Gregor und das Schwert des Kriegers
wenn sie da wäre, würde ihre Stimme sich nicht so anhören wie in seinem Traum. Sie würde ruhig, entschieden sein, wie eine Mutter. Ach, wie schön wäre es, wieder jemanden zu haben, Mutter oder Vater, der ihm sagte, wo es langging, und der ihn beschützen konnte. Er wusste, dass seine Eltern ihn lieb hatten und taten, was sie konnten. Aber wenn im Moment irgendwer in seiner Familie die Elternrolle ausfüllte, dann noch am ehesten er selbst, Gregor. Er schaute zum Bett seiner Schwestern und sah, dass Lizzies Seite leer war. Wo konnte sie um diese Zeit stecken? Wahrscheinlich arbeitete sie schon wieder an dem Code. Gregor wollte sie gerade suchen gehen und wieder ins Bett schicken, als er eine Stimme hörte.
»Geht’s jetzt besser?« Das war Ripred.
Gregor hatte die Vorhänge zur Menschenkammer am Abend zugezogen, doch einen kleinen Spalt hatte er offen gelassen,damit das Licht der Fackeln vom Hauptraum hereinscheinen konnte. Seine Schwestern sollten nicht in völliger Dunkelheit aufwachen. Jetzt legte er sich so hin, dass er Ripred durch den Spalt sehen konnte. Er lag auf der Seite auf dem Fußboden. An seinen Bauch geschmiegt saß Lizzie.
»Ja. Hier bei dir geht es mir besser. Du bist so warm«, sagte sie.
»Ganz tief und ruhig einatmen«, sagte Ripred und da wusste Gregor, dass Lizzie wieder eine Panikattacke gehabt hatte. Warum war sie damit nicht zu ihm gekommen? Warum zu Ripred? »Sollen wir ein bisschen rechnen?«, fragte Ripred.
»Nein«, sagte Lizzie. »Ich will nur hier sitzen.«
Gregor wusste nicht, was merkwürdiger war: Lizzie zu sehen, die sogar vor ihrem eigenen Schatten Angst hatte, wie sie sich an eine riesige Ratte kuschelte; oder den unangreifbaren Griesgram Ripred, der immer allein schlief, selbst wenn andere Ratten in der Nähe waren, wie er Gregors kleine Schwester tröstete.
»Wie ist sie gestorben? Die so war wie ich?«, fragte Lizzie.
Wovon redete sie jetzt? Wie war wer gestorben? Wann hatte Ripred jemanden wie Lizzie gekannt?
»Silksharp. Im Garten der Hesperiden«, sagte Ripred.
»Davon habe ich gehört. Gregor hat es mir erzählt. Der Deich ist gebrochen und es gab eine große Überschwemmung. Dann ist sie also ertrunken?«, fragte Lizzie.
»Ich habe versucht sie zu retten.« Ripred schüttelte den Kopf. »Zu spät.«
»Und deine Frau? Und die anderen Jungen?«, fragte Lizzie.
»Alle verloren. Alle tot. Konnte nicht mal Abschied nehmen.« Lange Zeit blieb es still, dann sagte Ripred: »Ich bin monatelangallein herumgezogen. Ich wollte sterben. Habe es auch versucht. Aber es gehört schon einiges dazu, um mich umzubringen.«
Gregor grub die Finger in die Decke, als er das, was er da gerade gehört hatte, mit seinem Bild von Ripred in Einklang zu bringen versuchte. Frau? Ripred hatte eine Partnerin gehabt. Junge? Er war ein Vater gewesen. Eines seiner Kinder, Silksharp, war so gewesen wie Lizzie. Und er hatte sie alle verloren, als Hamnet den Deich zum Einsturz gebracht hatte. Doch Hamnet war einer der wenigen gewesen, die Ripred nicht verabscheut hatte. Als er im Dschungel aufgetaucht war, warum hatte Ripred ihm da nicht die Kehle herausgerissen? Weil er wusste, dass Hamnet den Deich nicht mit Absicht zerstört hatte? Weil Hamnet noch versucht hatte, die Opfer aus den Fluten zu retten? Oder glaubte er ganz einfach, dass Hamnet schon genug gestraft war?
»Und dann bist du zurückgekommen«, sagte Lizzie.
»Ich konnte es nicht ertragen. Den Gedanken, dass so viele gestorben waren und dass alles vergebens sein sollte«, sagte Ripred.
Durch den Vorhang sah Gregor, dass Ripreds Kopf auf seine Vorderpfoten gesunken war. Er hatte die Augen geschlossen. Lizzie streichelte seine Ohren. »Und da hast du den Entschluss gefasst?«, sagte sie leise.
»Ja. Da wusste ich, dass sich alles ändern muss«, flüsterte Ripred.
Lizzie schlang Ripred die Arme um den Hals und legte ihren Kopf an seinen. Kurz darauf waren sie beide eingeschlafen.
16. Kapitel
Z u viel. Zu viel zu verkraften. Zu viel zu verstehen. Als Gregor am nächsten Morgen aufstand, war er so benebelt, dass er sich nicht einmal entscheiden konnte, was er zum Frühstück essen sollte. Boots häufte ihm einfach etwas auf den Teller und er aß, ohne es zu schmecken.
Ripred schickte alle aus dem Raum bis auf die Code-Mannschaft. Temp ging mit Boots ins Spielzimmer, wo es für die beiden offenbar immer etwas zu tun gab. Aurora und Nike wollten Hazard dabei helfen, die Huscherfamilien zusammenzuführen. Ares zog los, um
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