Gregor und der Fluch des Unterlandes
nicht. Sie machte Wortspiele mit Hazard. Als ihm das langweilig wurde, erzählte sie ihm die Unterlandversion von »Rotkäppchen«. In Luxas Geschichte war Rotkäppchen ein Mädchen, das mit seiner Fledermaus von Regalia zur Großmutter am Quell fliegen wollte. Obwohl sie den Weg nicht verlassen sollte, tat sie es doch. Statt in den Wald gelangte sie in den Tunnel, wo lauter schöne Pilze wuchsen. Dort geriet sie in die Fänge der großen bösen Ratte. Die Ratte tötete sie nicht, weil Rotkäppchen zu hoch flog. Aber sie stellte sich so freundlich, dass Rotkäppchen ihr all seine Pläne erzählte. Als Rotkäppchen beim Haus der Großmutter ankam, erwartete die große böse Ratte sie schon. Sie hatte sich als Großmutter verkleidet. Dann kam das altbekannte Spiel, »Großmutter, warum hast du so große Augen?« und so weiter. Da tauchte die Großmutter auf, tötete die große böse Ratte und warf sie mit Rotkäppchens Hilfe in den Fluss. Und die Moral von der Geschichte: Trau niemals einer Ratte über den Weg.
»Aber was ist mit den guten Ratten, Luxa?«, fragte Hazard. »Lapblood zum Beispiel. Sie hat Boots im Dschungel das Leben gerettet. Oder Ripred. Mein Vater sagte, er sei eine gute Ratte, und er ist Vikus’ Freund.«
»Ja, was ist mit denen, Eure Hoheit?«, sagte Gregor. Das war ja eine der Fragen, die er sich letzte Nacht gestellt hatte.
»Mit Ratten musst du sehr vorsichtig sein, Hazard«, sagte Luxa. »Ich müsste eine Ratte schon viele Jahre kennen, und sie müsste sich viele Male als zuverlässig erwiesen haben, ehe ich sie als Freund bezeichnen würde. Die Ratten lehren schon ihre Jungen, uns zu hassen.«
»Du machst doch genau dasselbe«, sagte Gregor. »Oder sollen wir etwa Mitleid mit der großen bösen Ratte haben?«
»Du hast wirklich keine Vorstellung davon, wie sehr sie dich hassen, nicht wahr, Überländer?«, sagte Luxa.
Das stimmte ihn nachdenklich. »Ich weiß, dass das für die meisten gilt«, gab er zu. »Aber es gibt auch ein paar, die ich als Freunde bezeichnen würde.«
»Ich frage mich, ob sie dich wohl auch als Freund bezeichnen würden«, sagte Luxa.
Gregor ließ die Frage in der Luft hängen. Bei genauerer Überlegung war es schwer vorstellbar, dass Ripred oder Lapblood ihn wirklich als Freund bezeichnen würden. Die einzige Ratte, die das vielleicht tun würde, war Twitchtip, aber die war von den anderen Ratten wegen ihres außergewöhnlichen Geruchssinns ins Land des Todes getrieben worden, und dann hatte sie sich einer Gruppe von Menschen angeschlossen, die den Fluch töten wollten. Twitchtip war also nicht gerade eine typische Ratte.
Hazard fing an zu gähnen, und sie schwiegen, bis er eingeschlafen war. Erst als er leise schnarchte, sprach Luxa wieder.
»Du bist sehr wütend auf mich, weil ich den Krieg erklärt habe«, sagte sie.
»Ich glaube, das war ein großer Fehler«, sagte Gregor.
»Es gibt keinen anderen Weg, Gregor. Das wissen wir alle. Die Menschen und die Nager können nicht in Frieden miteinander leben. Einer muss weichen, sie oder wir«, sagte Luxa.
»Ripred hat gesagt, dass es früher Zeiten des Friedens gegeben hat«, sagte Gregor.
»Doch das waren immer nur kurze Zeitabschnitte. Der Frieden ist nie von Dauer«, sagte Luxa. »Wir können es ebenso gut hinter uns bringen. Führen wir also den Krieg, der die Frage beantworten wird, wer bleibt und wer gehen muss.«
»Gehen wohin, Luxa? Wenn die Menschen verlieren, kommt ihr dann wieder an die Erdoberfläche?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlicher ist es, dass wir in die Länder ziehen würden, die nicht auf der Karte verzeichnet sind, in die Länder jenseits der Grenzen unserer Karte. Vielleicht könnten wir dort irgendwo eine neue Heimat finden«, sagte Luxa traurig.
»Und wenn die Ratten verlieren, müssen die Überlebenden in die Länder jenseits der Karte ziehen?«, sagte Gregor.
»Ich könnte Ripred bei mir behalten. Als Haustier«, sagte Luxa.
Gregor musste lächeln. »Als Haustier, hm?«
»Gewiss. Ich könnte ihm Schleifen um den Schwanz binden, ihn mit Shrimps in Sahnesoße füttern und ihn neben meinem Kopfkissen schlafen lassen«, sagte Luxa.
»Das wär genau das Richtige für ihn«, sagte Gregor. Jetzt lachte er. Die Vorstellung von Ripred mit Schleifen im Schwanz war einfach zu komisch.
»Ich hatte einmal ein zahmes Lamm, das war ganz nett«, sagte Luxa.
»Du könntest ihm ja Kunststücke beibringen«, sagte Gregor.
»Oh ja.« Luxa kicherte. »Apportieren und kommen, wenn ich
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