Gregor und der Spiegel der Wahrheit
wandte er sich zu Solovet und sprach sie direkt an. »Nicht, wenn ich euch helfen soll.«
»Ist diese Dame deine Mutter?«, fragte Hazard mit weit aufgerissenen Augen.
»Macht euch davon! Alle Übrigen, macht euch davon, ihr habt schon den halben Dschungel hierhergelockt!«, rief Hamnet und fuchtelte mit den Armen, als wollte er sie zur Seite fegen. »Löscht das Feuer und zieht ab!«
Die Wachen schauten zu Solovet, und sie nickte ihnen zu. Das Feuer wurde gelöscht, die Wachen und Solovet stiegen auf ihre Fledermäuse. Vikus wollte ihnen schon folgen, als er plötzlich auf Hamnet zuging und ihn fest umarmte. Hamnet ließ die Arme merkwürdig schlaff hängen, er erwiderte die Umarmung nicht, wehrte sich jedoch auch nicht dagegen.
»Du sollst wissen, dass du jederzeit nach Hause kommen kannst. Du könntest dort vieles tun. Du bräuchtest nicht zu kämpfen!«, sagte Vikus.
»Vikus, ich kann nicht …«, stammelte Hamnet.
»Du kannst! Denk nur darüber nach. Denk an das Kind. Wenn dir etwas zustoßen sollte.« Vikus trat einen Schritt zurück und rüttelte Hamnet beinahe an den Schultern. »Was tust du hier, was du nicht auch zu Hause tun könntest?«
»Ich richte kein Unheil an«, sagte Hamnet. »Ich richte kein Unheil mehr an.«
Langsam ließ Vikus Hamnet los und nickte. Er ging zu seiner Fledermaus und stieg auf. »Fliege hoch«, sagte er zu niemand Bestimmtem.
Solovet gab ein Signal und die Fledermäuse flogen mit den Menschen davon.
»Tschüs, tschüs, ihr!«, rief Boots und winkte ihnen nach.
»Gut, dass wir das hinter uns haben«, sagte Ripred. »Das ist immer ein Riesentheater mit deiner Familie. Mit euch kann man noch nicht mal angenehm zu Abend essen.«
»Ich weiß«, sagte Hamnet. »Ist Susannah auch tot?«
»Nein, ihr geht es gut. Hat jetzt einen Haufen Kinder. Der Überländer kennt eins davon«, sagte Ripred. »Wie heißt er noch mal?«
»Howard«, sagte Gregor. Er war noch ziemlich überwältigt von dem, was er gerade mit angesehen hatte.
»Ich kenne Howard. Als ich fortging, war er etwa so alt wie Hazard jetzt«, sagte Hamnet. »Wie geht es ihm, Wüter?« In dem letzten Wort lag Verachtung.
Die Bewunderung, die Gregor empfunden hatte, alsHamnet den Kampf ohne Blutvergießen beendet hatte, schwand. »Er ist in Quarantäne«, sagte Gregor. »Aber ich werd ihn von dir grüßen, wenn ich zurückkomme. Falls er dann noch am Leben ist.«
Ripreds Schwanz knallte Gregor an den Hinterkopf. Nicht so hart, dass es ihn umgeworfen hätte, aber doch schmerzhaft. »Nimm dich in Acht«, sagte Ripred.
Gregor rieb sich den Kopf und schimpfte, doch dann hielt er den Mund. Schließlich wusste er ja wirklich nicht, was mit Hamnet los war. Offenbar kam er mit Solovet nicht aus. Sie war wohl wütend darüber, dass er Regalia verlassen hatte. Aber vielleicht hatte er einen guten Grund gehabt. Vielleicht würde Gregor noch herausfinden, was passiert war. Oder vielleicht – das war endlich mal eine gute Idee –, vielleicht sollte er sich einfach um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und sich daranmachen, das Heilmittel zu finden.
Hamnet rief sie alle zusammen. Sie teilten sich in drei Gruppen auf. Gregor, Boots, Temp und Nike bildeten eine Gruppe. Hamnet, Hazard und Frill waren die zweite und die Ratten die dritte Gruppe.
»Und wer hat hier überhaupt das Sagen?«, fragte Gregor. Zwar war Hamnet ihr Führer, aber es war kaum vorstellbar, dass Ripred sich von irgendwem herumkommandieren lassen würde.
»Du jedenfalls nicht, mehr brauchst du nicht zu wissen«, sagte Ripred, worauf die anderen Ratten und Hamnet losprusteten. »Du wolltest etwas sagen, Hamnet?«
»Danke, Ripred. Bevor wir den Dschungel betreten, möchte ich eins klarstellen. Das hier ist kein Ort für Schwerter und Klauen. Esst nur, was ihr dabeihabt. Gebt acht, dass eure Fackel nichts versengt. Zerdrückt keine Beere und kein Blatt, tretet, so vorsichtig es geht, auf die Wurzeln«, sagte Hamnet.
»Was? Kann ich noch nicht mal eine Liane essen?«, sagte Mange.
»Doch«, sagte Hamnet. »Wenn du dein Leben aufs Spiel setzen willst.«
»Das sind doch nur Pflanzen«, sagte Lapblood.
»Manche sind nur Pflanzen. Doch die harmlosen passen sich den Giftpflanzen, den Würgepflanzen und den fleischfressenden Pflanzen an«, sagte Hamnet. »Sie sehen genauso aus, riechen genauso und verhalten sich genauso. Wisst ihr zu unterscheiden, was ihr essen könnt und was euch essen kann?«
»Die können uns doch nicht wirklich essen«, sagte Gregor
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