Greife nie in ein fallendes Messer
für Anleihen und Obligationen würde die Börse vollends aus der Kurve tragen. Die Nerven der sonst so gelassenen Börsianer lagen bloß. Alle Gespräche drehten sich um die riskante Anlagepolitik von Long-Term Capital Management aus dem vornehmen amerikanischen Städtchen Greenwich, in nur einer Stunde von New York aus mit dem Zug zu erreichen, der offenbar vor dem Zusammenbruch stand. Mit seinem Engagement von wahrscheinlich 200 Milliarden US-Dollar auf den internationalen Finanzmärkten hatte der Fonds durchaus ein derartiges Gewicht, dass ein Bankrott einen weltweiten Börsencrash à la 1929 auslösen konnte.
»Feuer unterm Dach« hatte man der amerikanischen Notenbank an jenem Mittwoch Ende September 1998 signalisiert, deren jüngste Zinssenkungssignale plötzlich von uns auf dem Frankfurter Parkett in einem ganz anderen Licht gesehen wurden. Es ging offensichtlich nicht nur darum, der lahmenden amerikanischen Konjunktur auf die Beine zu helfen, sondern man hatte den nervösen Finanzmärkten signalisieren wollen: »Wir sind bereit zu helfen, was auch immer passieren mag. Habt Vertrauen!«
Noch in der Nacht zum Donnerstag hatte die amerikanische Notenbank daraufhin die Spitzen der größten amerikanischen Geldhäuser zusammengetrommelt. Auch Vertreter europäischer Institute, beispielsweise Topmanager der Deutschen Bank, waren geladen. »Der LTCM steht vor dem Zusammenbruch. Wenn nicht sofort geholfen wird, kommt es unweigerlich zu einer Crash-Kettenreaktion auf den Finanzmärkten«, lautete die Botschaft der amerikanischen Notenbank. Was das in dieser gegenwärtigen Krisensituation in Asien, Russland oder in Südamerika bedeuten würde, konnte sich |128| wahrscheinlich jeder Teilnehmer dieser Sitzung leicht ausmalen. Jetzt musste geholfen werden, ungeachtet der Tatsache, ob man nun selber Betroffener war oder nicht.
Tags darauf sickerten die ersten Informationen über diese nächtliche Krisensitzung im New Yorker Gebäude der US-Notenbank durch. Hatte die lang erhoffte Wende in der amerikanischen Zinspolitik zunächst noch für steigende Kurse bei uns an der Frankfurter Präsenzbörse gesorgt, ließ der Schwung gegen Ende der Sitzung leicht nach. »Gewinnmitnahmen«, hörte ich auf dem Parkett. Im Grunde kein Wunder, angesichts dieser Krisenherde weltweit.
Im späten elektronischen Xetra-Handel aber nahm der Kursabschwung an Tempo zu. Die Nachrichten von der Wall Street ließen ein kommendes Ungemach vermuten. Vorsicht statt Zinseuphorie war angeraten. Von deutlich über 4 700 schlich sich der DAX im Rückwärtsgang auf 4 611. Genaues konnte ich nicht erfahren, aber es musste etwas mit den Banken zu tun haben, denn nach Meinung einiger Anleger, vor allem aus dem amerikanischen Umfeld, schien es angebracht zu sein, sich von Bankentiteln zu trennen.
Kurz vor Schluss des Xetra-Handels schlug die Aktie der Deutschen Bank plötzlich mit voller Wucht bei 93,80 D-Mark im Untergeschoss auf. Das entsprach einem Tagesverlust von fast 10 Prozent. Und das bei einem der ganz großen Standardwerte! In eiligen Telefongesprächen mit New York erfuhren wir dann in Deutschland konkrete Einzelheiten über diese hochbrisante nächtliche Rettungsaktion und über die Beteiligung der Deutschen Bank.
Einen Tag später wurde in groben Zügen das ganze entsetzliche Ausmaß dieser Hedgefonds-Krise sichtbar. Vierzehn amerikanische und europäische Geldinstitute verhinderten fürs Erste mit einem Überbrückungskredit von mehr als 3,7 Milliarden US-Dollar den sofortigen Zusammenbruch von Long-Term Capital Management. Und die Deutsche Bank war mit 300 Millionen US-Dollar an vorderster Stelle dabei. »Warum wohl?«, so die rhetorisch gemeinte Frage auf dem Parkett, denn jeder glaubte, die Antwort zu kennen: »Die Deutsche Bank hängt mit drin.« Der Kurs der Deutschen Bank, aber auch die Kurse anderer Finanzinstitute brachen ein.
Sogar die Schweizer Börse reagierte mit albtraumhaften Verkäufen |129| auf die Nachricht, der neue Schweizer Bankriese UBS habe sich ebenfalls an der Rettungsaktion beteiligt.
»Wir haben keine Anteile an diesem Hedgefonds«, versicherte mir am Telefon ein Pressesprecher der Deutschen Bank, »und wir haben dem Fonds auch keine ungesicherten Kredite gegeben. Bei uns steht nichts im Feuer.« Und warum dann dieser Überbrückungskredit von 300 Millionen US-Dollar? »Wir wurden von der amerikanischen Notenbank als größte deutsche Bank um Hilfe gebeten. Dieser Bitte konnten und wollten wir uns nicht
Weitere Kostenlose Bücher