Greife nie in ein fallendes Messer
gehen. Auch für Siemens ist das ein Riesenbetrag, der dennoch das lautstarke Entsetzen und die Proteste der britischen Arbeiter nicht verhindern kann. Diese Maßnahme wird dem Konzern schlaflose Nächte bereitet haben, denn sein Image auf der britischen Insel dürfte für die nächsten Jahre einen empfindlichen Knacks erhalten haben, nach den durch vollmundige Erklärungen geweckten Hoffnungen bei der Einweihung dieser modernen Chipfabrik. Aber angesichts der Milliardenverluste in diesem Bereich hat die Konzernleitung in München offenbar die Notbremse ziehen müssen.
Für die internationalen Anleger ist diese teure und unpopuläre Aktion ein Beweis für die Ernsthaftigkeit des Zehn-Punkte-Programms, das von Pierer Mitte Juli der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Mithilfe dieses Umstrukturierungsprogramms soll nun aber wirklich und endlich der jahrelang angekündigte Befreiungsschlag gelingen. Der Kurs der Siemens-Aktie legt schlagartig um fast 30 Prozent zu und beendet seinen unerwarteten Höhenflug knapp über der Marke von 140 D-Mark.
Doch die Begeisterung der internationalen Anleger schmilzt schnell dahin, als die ersten Analysten ihre Zweifel bezüglich der Durchsetzungsfähigkeit der Konzernleitung anmelden. Zu häufig hat Siemens-Chef von Pierer den Mund gespitzt, ohne zu flöten, zu häufig hat man in den letzten sechs Jahren den Anlegern versprochen, mit dem Aufräumen im Hause Siemens zu beginnen, eine Kapitalrendite von 15 Prozent sei das Ziel.
Die Erfolge des amerikanischen Konkurrenten General Electric |147| zeigen, dass es möglich ist. Doch offensichtlich mag sich von Pierer für die harte Gangart der Amerikaner, durch Massenentlassungen den Umbau des Konzerns voranzutreiben und den Wert des Unternehmens dadurch zu erhöhen, nicht erwärmen. Schließlich sei er froh, in einer sozialen Marktwirtschaft zu leben, in der man nicht nur das Wohl der Aktionäre, sondern auch das der Mitarbeiter im Auge haben müsse, hat er einmal dem Reporter der Wirtschafts-Woche , Bolke Behrens, gestanden. Der Begriff Shareholder Value, also die Ausrichtung der Unternehmenspolitik an den Interessen der Aktionäre, das scheint in München unbekannt zu sein.
Trotz vieler Ansätze ließ sich der schwerfällige Tanker Siemens in den vergangenen Jahren kaum auf einen renditeträchtigen Kurs umsteuern, zum Leidwesen der internationalen Anleger, die konsequent um einen der ganz großen Industriekonzerne dieser Welt einen noch größeren Bogen machten.
»Die Siemens-Aktie darf man auf keinen Fall haben«, so lautet das seit Jahren gepflegte Urteil der Frankfurter Börse. Da aber mancher insgeheim mit dem großen Befreiungsschlag rechnet, sei es ein radikaler Umbau oder gar ein Übernahmeangebot einer ausländischen Kapitalgebergruppe, sitzen doch einige meiner Gesprächspartner auf einem beträchtlichen Stoß von Siemens-Aktien und hoffen und hoffen.
»Aktionäre sind dumm und frech«, soll der große Berliner Bankier der Jahrhundertwende, Carl Fürstenberg, einmal gesagt haben, »dumm, weil sie ihr Geld in Aktien stecken, und frech, weil sie dafür auch noch eine Dividende haben wollen.« Zweifellos hat sich diese Einstellung der Unternehmen zu ihren Aktionären im Laufe des 20. Jahrhunderts ein wenig gewandelt. Heute kann es sich wohl kein Unternehmen mehr leisten, den Aktionär links liegen zu lassen, zu sehr ist man auf das Wohlwollen der Shareholder, genauer gesagt, auf ihr Kapital angewiesen. Wer es versäumt, den Wert seines Unternehmens kurswirksam zu steigern, um dadurch die Rendite des eingesetzten Aktienkapitals zu erhöhen, darf sich nicht wundern, wenn die Anleger bei hin und wieder notwendigen Kapitalerhöhungen mit Liebesentzug reagieren und ihr Geld in andere Unternehmen investieren.
|148| Eine solche Perspektive bereitet vor allem deutschen Konzernchefs und ihren Personalvorständen Kopfzerbrechen, denn in der Regel ist eine deutliche Verbesserung der Eigenkapitalrendite nur über drastische Kostensenkungsprogramme, das heißt über Personalabbau zu erreichen. Gerade Siemens scheint unter diesem Zwang außerordentlich zu leiden. Als einer der größten industriellen Arbeitgeber weltweit sieht sich der Konzern seinen 416 000 Mitarbeitern gegenüber in einer sozialen Verpflichtung. Sie haben einen Anspruch auf einen verantwortungsbewussten Arbeitgeber, andererseits erwarten die Aktionäre weltweit eine angemessene Verzinsung ihres Kapitals.
Bei Siemens ist das Unternehmensziel einer angemessenen
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