Greifenmagier 1 - Herr der Winde
ihr keine.
Jos sah den Greifen nicht mal an, sondern nur Kes, als er entgegnete: »Du brauchst sie. Du brauchst ihren guten Willen, Malakteir. Wie sonst sollte dein Volk überhaupt gegen Farabiand bestehen, geschweige denn gegen Casmantium? Du hast sie gefunden, und du hast sie gemacht und planst jetzt, sie als deine Waffe zu gebrauchen. Aber wenn sie nicht mitmacht, hast du verloren. Ich weiß das, und du weißt es, und falls Kes es versteht, ist sie vor jeder Drohung gefeit, die du nur aussprechen kannst ...«
Sei still! Oder du bist es, den ich töte, warnte der Greif.
»Nein«, widersprach Kes. Ihre Stimme klang dünn und zittrig, aber sie wandte sich rasch zu Kairaithin um und starrte ihn an. Und so riesig ihre Augen im zierlichen Gesicht auch wirkten, so drückten sie doch eine Entschlossenheit aus, die Bertaud nicht erwartet hätte.
Kairaithin legte den Kopf schief und musterte das Mädchen mit einem grimmigen schwarzen Auge. Seine Miene war undeutbar. Er drohte Jos jedoch nicht erneut, sondern sagte zu Kes: In hundert Jahren besitzt du vielleicht die Kraft, mich herauszufordern. Ich versichere dir jedoch: Du hast diese Kraft heute noch nicht, und du wirst tun, was ich sage, und nicht, was du selbst möchtest.
»Ich habe dir vertraut«, flüsterte Kes.
Begreifst du denn nicht, dass meine Not zu groß ist, als dass ich mir leisten könnte, vertrauenswürdig zu sein? Ich werde weder Casmantium noch Farabiand gestatten, das zu vernichten, was von meinem Volk übrig geblieben ist. Deine Wahl besteht darin, entweder freiwillig deine Macht in meinen Dienst zu stellen und uns aus der Notlage herauszuhelfen oder dies aufgrund meiner Entscheidung zu tun. Mehr Freiheit bleibt dir nicht. Kairaithin hielt inne. Niemand sagte etwas. Der Wüstenwind trug den trockenen Geruch von Staub und Stein und Wärme in den dunklen Schatten der Felswand.
Es ist nichts Schlimmes daran, eine Kreatur des Feuers zu sein, setzte der Greif in einem fast wehmütigen Tonfall hinzu. Er senkte den Kopf heftig, öffnete den Schnabel und klappte ihn wieder zu. Feuer strömte ihm durch die Augen, und er entschwand unvermittelt zu einem anderen Ort. Drei Menschen ließ er allein im Schatten zurück, die niemals in dieser fremden Wüste hätten sein sollen.
Kes seufzte schwer und setzte sich plötzlich so schnell auf den Boden, als klappten die Beine unter ihr zusammen. Die schmalen Hände zitterten. Sie ballte sie zu Fäusten und starrte blind auf den Sand. Der casmantische Soldat setzte sich langsamer neben sie, und sie lehnte sich an ihn und barg das Gesicht an seiner Schulter.
»Wer bist du?«, fragte Bertaud ihn, aufs Neue verwirrt von der Vertrautheit zwischen dem Soldaten und dem Mädchen.
Der Soldat seufzte. »Niemand«, antwortete er.
Kes richtete sich auf und schlang die Arme um die angezogenen Knie. Sie sagte mit leiser, müder Stimme: »Er ... arbeitet für Tesme. Meine Schwester. Aber ...« Ihre Stimme verklang.
»Ich war früher ein Soldat Casmantiums«, erzählte der Mann. Er erwiderte Bertauds Blick und verweigerte kategorisch jede weitere Erklärung. Dann schaute er wieder auf das Gesicht des Mädchens und schüttelte den Kopf. »Ich hätte dich besser beim Arobarn zurückgelassen. Er hätte dir nichts zuleide getan.«
»Doch, das hätte er«, flüsterte Kes. »Verstehst du es denn nicht? Seine Zwangslage war zu groß, als dass er sich freundlich hätte zeigen können.« Sie schloss die Augen.
»Ich ...«, begann Bertaud. »Du ...«
Keiner von beiden hatte auch nur einen Blick für ihn übrig. Jos legte Kes eine Fingerspitze unters Kinn und hob ihr Gesicht an. Das Mädchen öffnete überrascht die Augen. Jos sagte sanft: »Er hätte dich wieder zu einem Menschen gemacht, und das wäre gut gewesen. Kes, diese Kreatur hat versucht, dir Angst einzujagen, und ich vermute, das ist ihr gelungen - mir hat der Greif jedenfalls Angst eingejagt. Aber sieh mal, er kann dich nicht zwingen, das Feuer zu gebrauchen ... eine Kreatur des Feuers zu werden. Entweder tust du es, oder du tust es nicht, und in Wahrheit ist die Notlage des Greifen eine Waffe in deiner Hand. Warum hätte er sonst versuchen sollen, mich zum Schweigen zu bringen? Du brauchst nur den Mut, deine eigene Kraft einzusetzen.«
Kes starrte ihn wortlos an.
Jos senkte die Hand aufs eigene Knie. Seine Stimme klang sogar noch drängender, als er fortfuhr: »Du bist seit jeher tapferer, als irgendjemand erwartet, der dich ansieht. Tapferer, als du selbst denkst. Wenn du
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