Greifenmagier 1 - Herr der Winde
er erneut und versuchte auf diese Weise, die Augen so weit von der Lichtfülle freizubekommen, dass er wieder richtig sehen konnte. Die unermessliche Wüste erstreckte sich in alle Richtungen. Rote Klippen und verdrehte Felsnadeln erhoben sich überall ringsherum in die Höhe, streckten schmale, schartige Finger zum unerbittlichen Himmel aus. Hitze strömte mit solcher Macht auf die Kampfgefährten herab, dass sie genauso gut Körperlichkeit und Gewicht hätte haben können.
Falls Bertaud orientierungslos war, so galt dies für Kes nicht. Sie stand aufrecht direkt an Kairaithins Seite und wirkte dabei schüchtern und selbstsicher zugleich. Zwischen ihren feinen, weichen Haaren, die ihr Gesicht umrahmten, schimmerte die Sonne hindurch; und es entstand der Eindruck, dass sie aus blassem Licht gewebt sein könnten. Ein warmes Licht schien aus Kes' Haut hervorzuscheinen, als spannte sich diese über Feuer, nicht über Fleisch. Möglicherweise wäre sie ohne Kairaithins Eingreifen zur Erdmagierin geworden, aber jetzt machte sie den Eindruck, als wäre sie von jeher zur Feuermagierin bestimmt gewesen. Tatsächlich wirkte sie inzwischen so wie Kairaithin selbst, wenn er Menschengestalt trug: ganz und gar nicht als etwas, das jemals Mensch gewesen war.
Jos saß unweit von Bertaud im Sand, im Schatten eines verformten roten Felsens. Sein Blick galt keinem der anderen, sondern ging hinaus in die Wüste. Bertaud folgte seinem Beispiel.
Ringsherum zwischen den Felsnadeln lagen überall Greifen im heißen Sand oder auf schartigen Felsleisten. Die Kreaturen zeichneten sich durch eine unterschiedliche Färbung aus: Der eine leuchtete golden und bronzefarben, der andere wies ein warmes reiches Braun und Kupferrot auf; ein dritter war bleich wie der Rand einer Kerzenflamme und ein vierter von dunklem Rot wie die letzten Kohlen in einem schwelenden Feuer ... Wie Katzen hatten sie sich in der Sonne ausgestreckt und starrten ins strahlende Licht, und ihre Augen waren davon keineswegs geblendet. Nur wenige zeigten eine Reaktion darauf, dass Kairaithin oder Kes oder die beiden Menschenmänner in ihrer Mitte aufgetaucht waren.
Kes warf Bertaud einen Blick zu, schaute dann auf Jos, schüttelte den Kopf und fuhr sich gedankenverloren mit den Fingern durch die Haare. Erneut erfolgte eine Versetzung, und die Welt neigte sich rings um sie. Erschrocken bemerkte Bertaud, dass diesmal das Mädchen und nicht der Greifenmagier diese Veränderung bewirkte. Dass sie es ausführte wie ein Greifenmagier: mit einem Gedanken, einer Verschiebung der Wüstenstille. Unvermittelt standen sie im tiefen schwarzen Schatten einer zerbrochenen Felswand. Der Gegensatz zwischen dem Schatten und der erbarmungslos herabhämmernden Sonne im freien Gelände war schwindelerregend.
Bertaud schnappte nach Luft und streckte die Hand nach der Felswand aus, um das Gleichgewicht zu bewahren. Er versuchte gar nicht erst, aufzustehen, sondern lehnte sich mit dem Rücken ans Gestein und schloss die Augen.
Der casmantische Soldat war aufgesprungen, setzte sich aber langsam und bedächtig wieder.
Kairaithin legte sich hin und streckte sich wie eine Katze. Er wirkte belustigt, obwohl Bertaud nicht genau hätte sagen können, was ihm diesen Eindruck vermittelte. Er fragte ihn: »Beguchren?«
Hat sich zurückgezogen, antwortete der Greif erkennbar zufrieden. Heute war ich siegreich. Und setzte einen Augenblick später hinzu, während er zugleich den grimmigen Adlerschnabel leicht senkte: Waren wir siegreich.
Bertaud erwiderte sein Nicken und wandte sich Kes zu. »Damit hast du mir ein zweites Mal das Leben gerettet, denke ich. Ich danke dir.«
Kes schenkte ihm ein kurzes, schüchternes Lächeln, wirkte jetzt aber unruhiger und nervöser als beim Kampf. Sie schritt eilig von einem Rand des Schattens zum anderen und fand einfach keine Ruhe. Schließlich sagte sie: »Ich habe das Feuer benutzt. Es fiel mir diesmal viel leichter.«
Natürlich, erklärte ihr Kairaithin. Du machst dich sehr gut, Kereskiita. Du lernst schnell und verfügst über machtvolle Gaben.
Kes wandte sich an den Greifen. »Der König von Casmantium sagte, ich wäre ... wäre ein ... Mir fällt das Wort nicht mehr ein. Festar- irgendwas.«
»Festaranenteir«, stellte Jos klar, ohne aufzublicken.
»Ja - Festaranenteir. Das bezeichnet einen Feuermagier, der auch ein Mensch ist. Das heißt es doch, oder?«
Ja, bestätigte der Greif.
Neben Bertaud blickte Jos zu Kes auf und wandte die Augen wieder ab. Ihren
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