Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Furcht und Zorn. Bertaud wusste sehr gut, was der andere fühlte; er erkannte dessen Scham, Furcht und Zorn, und er verstand die Quelle und die Macht dieser Regungen.
Kairaithin senkte den Kopf, hob eine lange Hand, fasste sich an das Menschengesicht und die eigenen Augenlider. Diese Geste erinnerte sehr an einen Menschen. Bertaud blickte durch die äußere Erscheinung hindurch und sah den Greifen hinter der Menschengestalt und das Feuer hinter dem Greifen.
Kairaithin schaute auf und erwiderte Bertauds Blick. »Es ist falsch von dir, mir das anzutun.«
»Ich weiß«, flüsterte Bertaud - und setzte dann lauter hinzu: »Ich könnte das gar nicht leugnen. Aber war es denn recht von dir, Kes ins Feuer zu werfen und sie zu deinem Werkzeug zu formen? Ist meine Not weniger schrecklich als deine?«
Kairaithin wandte nicht den Blick ab, doch er gab auch keine Antwort.
»Heute Abend«, fuhr Bertaud fort, »oder morgen wird Iaor seine zweitausend Mann in die Wüste führen. Und ... von dem Augenblick an wird alles seinen unausweichlichen Verlauf nehmen. Du hast mir erklärt, was dein König erwartet. Hier ist der neue Plan: Dein Volk wird so tun, als stellte es meines zum Kampf, aber beide Seiten werden wissen, dass es nur eine Täuschung ist. Iaor wird so tun, als wäre er überfordert und ahnungslos; er wird seine Männer mit dem Rücken zum Arobarn aufstellen. Sobald das casmantische Heer so aus den Bergen herabgelockt wurde, werden unsere beiden Völker gemeinsam darüber herfallen und es vernichten.«
Kairaithin hörte sich diese Überlegungen ausdruckslos an. Innerlich wütete er nach wie vor und fürchtete sich zugleich, und weder im Zorn noch in der Furcht ähnelte er einem Menschen. Er war etwas anderes, etwas, das unverständlich für sein Gegenüber hätte sein müssen. Und doch blickte Bertaud durch des Greifenmagiers Gestalt hindurch und begriff dessen Herz.
Nach außen wirkte das Gesicht des Greifen ruhig. »Das entspricht nicht der Absicht des Herrn von Feuer und Luft.«
»Sorge dafür, dass es seine Absicht wird!«, befahl Bertaud, dessen Stimme vor Zorn und Selbstabscheu lauter wurde. Er beherrschte sich und fuhr ruhiger fort: »Du sagst, du hättest dich nicht für seinen derzeitigen Plan ausgesprochen. Das ist ja gut und schön, aber war es dir wichtig genug, um mit aller Kraft dagegen zu kämpfen? Jetzt musst du das tun. Erinnere deinen König daran, dass Casmantium sein Feind ist, dass Farabiand und dein Volk in Casmantium einen gemeinsamen Gegner haben. Gib ihm zu verstehen: Wenn die Absichten des Arobarn nicht jetzt vereitelt werden, wird Casmantium danach umso aggressiver und gefährlicher sein. Entspräche das den Wünschen deines Herrn? Liegt damit nicht ein natürlicher Grund für ein Bündnis zwischen deinem Volk und meinem vor? Kann eine Verständigung zwischen Farabiand und der Wüste nicht einen dauerhaften Vorteil mit sich bringen?«
Kairaithin antwortete nicht, aber wenigstens verwarf er diese Vorschläge nicht sofort.
Bertaud warnte ihn: »Oder wir finden heraus, ob ich nicht stark genug bin, alle deine Leute gleichzeitig meinem Willen zu unterwerfen. Ich habe niemals gehört, dass es eine Beschränkung dafür gäbe, wie viele Tiere auf einmal ein Mensch lenken kann, wenn er eine Verbundenheit mit diesem Tier aufweist.«
»Das Volk von Feuer und Luft kann nicht gefügig gemacht werden, als wären wir Hunde!«
Bertaud starrte in die feurigen Augen des Greifen. »Für mich seid ihr es.«
Kairaithin schloss die Augen, verbarg so ein erkennbares Aufflammen der Wut und presste die Zähne zusammen, damit ihm die gewalttätigen Worte, die ihm auf der Zunge lagen, nicht über die Lippen kamen. Ein Augenblick verstrich. Ein weiterer. Der Greif bezwang seine Wut. Mit einer Anstrengung, angesichts derer es Bertaud selbst fast das Herz zerriss, zwang er sich zu einem maßvollen und beherrschten Ton. »Das darfst du nicht tun, Mensch ... Herr. Du darfst niemandem aus meinem Volk auch nur einen Hauch der Macht offenbaren, die du mir gegenüber gezeigt hast.« Die schwarzen Augen begegneten denen Bertauds mit einer Vorsicht, die dem Wesen des Greifen fremd war, einer Beklommenheit, die sie beide schmerzte. Mit rauer Stimme fuhr Kairaithin fort: »Weißt du denn nicht, was du ihnen damit antätest? Wenn du es verlangst, werde ich dich anflehen, es zu unterlassen. Ich würde bereitwillig niederknien.«
Bertaud war von diesem Vorschlag so entsetzt, dass er doch tatsächlich zurückprallte. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher