Greifenmagier 1 - Herr der Winde
dem Fenster blickte und darauf wartete, sie nach Hause kommen zu sehen. Jetzt jedoch sehnte sie sich nach diesen Dingen. Und Tesme vermisste sie sicher und dachte sich ... Kes konnte sich kaum vorstellen, was ihre Schwester womöglich dachte. »Ich will nach Hause!«, wiederholte sie.
Kereskiita, erwiderte die schlanke braune Greifin. Warte auf Kairaithin. Das wäre besser.
Kes starrte sie an. »Wo ist er?«
Der Herr des Wechselnden Windes ... unternimmt gerade den Versuch, den Weg des Windes zu ändern, antwortete Opailikiita.
Eine seltsame Art Humor schwang in der Stimme der Greifin mit. Es war allerdings keine vertraute oder angenehme Form von Humor, und Kes verstand sie nicht. Sie blickte sich um und versuchte, die Gestalt der Landschaft, die sie kannte, in den welligen Formen der nächtlichen Wüste wiederzuerkennen. Es gelang ihr jedoch nicht. Wenn sie einfach bergab ging, erreichte sie sicher irgendwann den Rand der Wüste, überlegte sie sich ... vorausgesetzt, die Wüste endete noch irgendwo. Das aber erschien ihr jetzt ein wenig unwahrscheinlich, so als hätte Kes in ihren Träumen miterlebt, wie sich die ganze Welt in eine Wüste verwandelte. Vielleicht hatte sie das ja; Kes erinnerte sich nicht mehr an ihre Träume. Nur Dunkelheit, durchzuckt von Flammen ...
Kereskiita, sagte die junge braune Greifin erneut.
»Mein Name lautet Kes!«, erwiderte Kes ungewohnt heftig, bezweifelte aber irgendwie tief im Innern, dass diese Worte noch immer der Wahrheit entsprachen.
Das ist richtig, stimmte Opailikiita ihr zu. Aber dieser Name ist zu gering für dich. An deinem Namen sollte mehr sein. Kairaithin hat dich ›Kereskiita‹ genannt. Darf ich das auch?
»Na ja, aber ... Kereskiita, was heißt das?«
Man könnte es vielleicht mit »Feuerkätzchen« übersetzen, antwortete Opailikiita, nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte. Dann fügte sie mit unerwarteter Zartheit hinzu: Macht es dir etwas aus?
Kes vermutete, dass sie im Grunde nichts dagegen hatte. Statt zu antworten, fragte sie: »›Opailikiita‹? Darin ist auch ›kiita‹ enthalten.«
Glitzernde Funken Erheiterung flackerten rings um Kes' Bewusstsein auf. Ja. Opailikiita Sehanaka Kiistaike, sagte die junge Greifin. Opailikiita ist mein vertrauter Name. Er bedeutet ... vielleicht »kleiner Funke«? Etwas, was dem nahekommt. Kairaithin nennt mich bei diesem Namen. Ich bin seine Kiinukaile. Das wäre dann wohl ... »Schülerin«, denke ich. Wenn du möchtest, darfst du mich Opailikiita nennen. Denn du bist ja auch Kairaithins Schülerin.
»Das bin ich nicht!«, entgegnete Kes schockiert.
Du wirst es ganz gewiss sein, war eine andere Stimme zu vernehmen - eine harte und doch irgendwie erheiterte Stimme, die mit Furcht erregender Autorität um Kes' Bewusstsein glitt. Kairaithin war auf einmal da. Weder trat er als Mensch heran, noch senkte er sich auf Adlerschwingen vom Himmel, sondern war einfach da - in seiner wahren Gestalt als mächtiger adlerköpfiger Greif mit mörderisch gebogenem Schnabel und stark gefiederter vorderer Körperhälfte, die elegant in die breite, muskulöse hintere Körperhälfte eines Löwen überging. Das Fell war rot wie glimmende Kohlen, die Schwingen von einem Schwarz, in dem sich nur schmale rote Flecken zeigten, wie ein von einem Schutzdamm umfasstes Feuer, dessen Licht flackernd durch ein schweres Eisengitter fiel. Er saß da wie eine Katze, in aufrechter Haltung, den Löwenschwanz um die krallenbewehrten Adlerfüße geringelt. Die Schweifspitze zuckte unruhig im Sand; die einzige Bewegung, die er zeigte.
Du hast dich mit meiner Kiinukaile bekannt gemacht?, fragte der Greifenmagier Kes. Es ist gut, wenn ihr euch miteinander bekannt macht.
»Ich bin nicht deine Schülerin!«, erklärte Kes wütend, aber dann zögerte sie, ein wenig erschrocken von der Heftigkeit ihrer Entgegnung.
Opailikiita wandte sich Kairaithin zu. Sie ist stürmisch. Eines Tages wird dieses Kätzchen sogar dich herausfordern. Es klang, als hieße sie das gut.
Vielleicht, erwiderte Kairaithin der jungen Greifin, aber nicht heute. Die machtvolle Stimme verriet weder Beifall noch Missbilligung. An Kes gewandt, setzte er hinzu: Was wirst du tun als junge Feuermagierin, die zwischen Kreaturen der Erde flügge wird? Ich werde dich lehren, wie du auf dem feurigen Wind reitest. Wer sonst sollte das tun? Wer sonst könnte es tun?
Kes hätte am liebsten geschrien: Ich bin keine Magierin! Nur erinnerte sie sich daran, wie sie die goldene Hitze des
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