Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Worten war er urplötzlich verschwunden. Roter Staub wehte über die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte.
Bertaud hatte bereits den halben Weg bergab zurückgelegt, ehe er sich überhaupt der Tatsache bewusst wurde, dass er sich bewegte, und er war noch ein Stück weiter, bevor ihm wieder Daiane einfiel.
Die Magierin begleitete ihn. Mühsam stapfte sie über den unebenen Boden, das Gesicht hart wie eine Maske.
Bertaud blieb stehen und bot ihr den Arm an. Sie hielt ebenfalls an, atmete schwer und blickte ihm ins Gesicht. Er wusste nicht, was sie dort sah. Seinen Arm, den er ihr entgegenhielt, ignorierte sie.
»Hättet Ihr Euch dieser Macht ausgeliefert«, behauptete sie, »dann, so denke ich, hätte sie Euch nie wieder freigegeben.«
Der Atem ging zischend durch seine Zähne. Er gab ihr jedoch nicht die Antwort, die ihm als erste in den Sinn kam, sondern formulierte mit Bedacht: »Möglicherweise habt Ihr mir das Leben gerettet, hochverehrte Daiane.«
Die Magierin blinzelte und wartete auf weitere Erklärungen.
»Oder Ihr habt es weggeworfen! Wir sind hierhergekommen, um mit ihnen zu reden! Jetzt bleibt uns nur noch der Kampf. Lag es an der Abneigung? Ihr konntet damit rechnen. Habt Ihr sie nun beherrscht, oder hat sie Euch beherrscht?«
»Ich hatte damit gerechnet ... Ich hatte darüber gelesen ... Meriemne erinnerte mich daran. Aber ich gestehe, dass die Wirkung stärker war als erwartet.« Die Furchen in Daianes Gesicht waren tiefer geworden; sie wirkte abgespannt und erschöpft und zehn Jahre älter als noch am Morgen. »Aber glaubt mir eines, Fürst Bertaud: Unabhängig davon, ob Erdmagier eine Abneigung gegenüber dem Feuer haben oder nicht - es ist nicht möglich, mit diesen Kreaturen Frieden zu schließen. Das ist mir inzwischen ganz klar geworden. Legt sich denn der Wolf friedlich zum Kitz?«
Bertaud schüttelte den Kopf. Er konnte ihr nicht wirklich widersprechen, obwohl er es gern getan hätte. Und er kannte nicht einmal den Grund dafür. Er blickte den Berg hinauf - zunächst unentschlossen und im nächsten Moment schon bereit, auf diesen Gedanken hin kehrtzumachen, wieder hinaufzusteigen und die Magierin zurückzulassen, auf dass sie selbst den Weg nach unten fände.
Mit der Hand auf seinem Arm hielt Daiane ihn zurück und sagte: »Fürst Bertaud, von Anfang an bestand keinerlei Möglichkeit, einen Kampf zu vermeiden. Ich hatte gehofft ... Ich hatte gedacht ... Doch ich wusste sogleich, dass ein Kampf unmöglich zu verhindern ist, sobald ich diese ... diese Kreatur erblickte und die Gestalt, die sie angenommen hatte. Ihr müsst das doch auch bemerkt haben. Es besteht einfach keine Möglichkeit, ihr nachzugeben! Ihr seid nicht blind. Hätte ich zumindest gedacht.«
Bertaud fragte sich, ob sie recht hatte. Er entgegnete nichts.
Daiane schwenkte ihren Arm und wies mit dieser Geste auf die Berge und den Hitzeschleier, der sich in der Stille bewegte - die gewaltiger und härter war als irgendeine Art von Stille, die eigentlich noch zu Farabiand gehört hätte. »Ich habe gedacht, ich verstünde, wem wir auf diesem Berg begegnen würden. Doch ich habe nichts gesehen, was irgendein Geschöpf der Erde jemals begreifen wird. Abneigung? Wie könnte zwischen Feuer und Erde je etwas anderes bestehen?« Sie zitterte jetzt. Unwillkürlich war Bertaud gerührt. Er atmete laut aus und reichte Daiane den Arm.
Diesmal ergriff sie ihn.
Wenig später wurde deutlich, dass General Jasand nicht ganz unzufrieden mit dem Ausgang des ersten Vorstoßes in die Bergeshöhen war.
»Sie wissen sicher, wie viele wir sind«, warnte ihn Bertaud. »Sie können fliegen - und sich so ein Bild von der Aufstellung unserer Männer machen.«
»Na und? Was sollen sie schon tun? Greifen benutzen weder Bogen noch Schild. Entweder ziehen sie sich zurück oder stürzen sich auf uns. Selbst wenn es hundert sind, wird der Sieg uns gehören. Wie es Casmantium schon gelang - das habt Ihr ja selbst eben berichtet. Und wir verfügen dann über Soldaten mit Kampferfahrung gegen die Greifen, was nur nützlich sein kann, falls diese Kreaturen auch künftig wieder über das Gebirge kommen.«
»Hmm!« Bertaud fühlte sich bei diesem Gedanken gar nicht wohl. Sollten denn Greifen immer wieder von den Bergen herabkommen und Farabiand sie immer wieder niedermetzeln? Ihm gefiel die Vorstellung nicht, dass sich Farabiand von Casmantium für dessen Zwecke benutzen ließ - vorausgesetzt, das östliche Nachbarland hatte tatsächlich beschlossen,
Weitere Kostenlose Bücher