Greifenmagier 1 - Herr der Winde
erklärte er: Der Sendbote eures Königs ist noch am Leben. Vielleicht wird er sterben. Es gefiele mir jedoch, wenn er überlebte. Ich kann seine Wunden nicht heilen. Ich weiß nicht, ob selbst du die Wunden eines Menschen mit Feuer heilen könntest. Vielleicht findest du jedoch einen Weg, diesen Menschen zu retten. Möchtest du es versuchen?
»Natürlich!« Kes sah sich sofort um, als erwartete sie, den Mann gleich neben sich liegen zu sehen. Sie überwand sich sogar, mit dem Blick das Schlachtfeld abzusuchen, zuckte aber sogleich wieder davor zurück. Sie glaubte ohnehin nicht, dass irgendjemand, der dort lag, noch lebte. Der Sand und die überwältigende Hitze zehrten schon an den Toten, die gar nicht mehr den Eindruck machten, sie wären je am Leben gewesen.
Dort liegt er nicht, teilte Kairaithin ihr mit. Ich bringe dich zu ihm. Ich denke aber, du solltest dich zuerst an Feuer und Heilung erinnern. Aranuurai Kimiistariu wird sterben, wenn du sie nicht heil und ganz machst. Lässt du sie sterben?
Kes zögerte, während sie erneut zum Schlachtfeld hinüberblickte. Sie näherte sich der verwundeten Greifin einen Schritt weit, blieb aber wieder stehen. »Ich kann nicht dorthingehen!«
Kairaithin musterte Kes mit den grimmigen, undurchdringlichen Augen eines Adlers. Dann breitete er die Schwingen aus und hastete zu der verletzten Greifin. Er schob sie durch den Wüstennachmittag, bis sie direkt vor Kes' Füßen lag.
Riihaikuse Aranuurai Kimiistariu ruhte in einer beinahe normalen Haltung, aber der Kopf hing in einem merkwürdigen Winkel, und sie atmete hektisch. Die Augen wirkten glasig vor Schmerzen oder möglicherweise auch wegen des nahenden Todes. Dunkelrotes Blut lief ihr aus entsetzlichen Wunden und verteilte sich in Form von Rubinen und Granaten im Sand.
Mache sie heil und ganz, sagte Kairaithin, oder sie wird gewisslich sterben.
Kes hätte am liebsten geweint wie ein Kind. Tränen brachten die Toten jedoch nicht zurück, und außerdem stellte sie ungeachtet des Drucks hinter ihren Augen fest, dass sie gar keine Tränen hatte. Auch würde der Tod von Aranuurai Kimiistariu die Toten nicht ins Leben zurückholen. Es wäre falsch, sie sterben zu lassen. Oder wäre es nicht falsch? Kes zögerte noch einen Augenblick lang. Dann ließ sie den Namen der verletzten Greifin durch die eigenen Gedanken und das eigene Blut rinnen und erhob die zur Schale geformten Hände, um das heiße Licht des Nachmittags einzufangen. Sie kniete jedoch nicht gleich neben der bronzefarbenen und schwarzen Greifin nieder, sondern warf einen finsteren Blick auf Kairaithin. »Bringst du mich anschließend zu dem verletzten Mann? Gleich anschließend? Sollte er sterben, ehe ich zu ihm gelange«, setzte sie hitzig hinzu, »heile ich niemanden mehr aus deinem Volk! Verstehst du mich?« Nicht mal sie selbst wusste, ob sie das als Drohung ernst meinte. Sie bemühte sich jedoch angestrengt, es so auszusprechen, als meinte sie es ernst.
Kleines Kätzchen, du bist grimmig geworden, erwiderte Kairaithin. Er drückte es in einem amüsierten und ironischen Ton aus, aber es klang auch, als hieße er es gut. Niemand sonst aus meinem Volk ist so schwer verletzt, dass er nicht warten könnte. Mache Aranuurai Kimiistariu heil und ganz, und ich bringe dich zu dem Mann aus deinem Volk. Obwohl heute fürwahr ein Tag des Todes ist, entspricht es auch meinem Wunsch, dass dieser Mensch am Leben bleibt. Ein Sendbote, den ich zu eurem König schicken kann, ist genau das, was ich brauche.
Kes starrte den Greifenmagier noch einen Augenblick länger an. Dann kniete sie sich hin, um das reiche Licht in ihren Händen über die Wunden der Greifin zu gießen.
Der verletzte Mann lag hoch oben auf den roten Klippen innerhalb der Säulenhalle. Das Steindach schützte ihn vor dem unmittelbaren Sonnenlicht, aber sogar im Schatten herrschte drückende Hitze - sie wirkte hier irgendwie noch drückender als im Freien. Opailikiita lag unweit des Mannes, hatte aber, soweit Kes sehen konnte, nicht das Mindeste getan, um ihm zu helfen. Kes hatte kaum einen Blick für die schlanke Greifin übrig, ehe sie neben dem Mann auf die Knie fiel. Auch bemerkte sie kaum, dass Kairaithin ihr folgte, oder auch, dass er wieder Menschengestalt angenommen hatte, damit sie sich nicht körperlich bedrängt fühlte, während er ihr über die Schulter blickte. Ihre Aufmerksamkeit galt allein dem Mann.
Sie stellte sofort fest, dass er schlimm verwundet war. Der Arm war wie von Messern
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