Greifenmagier 1 - Herr der Winde
aufgeschlitzt, und er blutete nach wie vor aus diesen Wunden. Doch glücklicherweise tröpfelte das Blut nur langsam aus den zahlreichen Schnittverletzungen. Kes glaubte, dass der Arm außerdem gebrochen war, auch wenn sie das nicht genau feststellen konnte. Allerdings war sie sich fast sicher, dass der Knöchel gebrochen war, als ihr Blick auf die Schwellung und die dunklen Blutergüsse am Fuß fiel. Schlimmer noch: Der Atem des Mannes war flach und klang angestrengt und wurde von einem blubbernden Geräusch begleitet, das Kes verriet, dass auch Rippen gebrochen waren und zumindest eine davon die Lunge durchbohrt hatte.
Soweit Kes erkennen konnte, hatte bislang niemand dem Verwundeten geholfen. Allerdings hatte sie auch noch nicht bemerkt, dass die Greifen sich gegenseitig viel halfen, wenn man einmal davon absah, dass sie einem verwundeten Gefährten Gesellschaft leisteten. Und das zumindest hatte Opailikiita auch hier getan. Und der Mann lebte noch, sodass nicht auszuschließen war, dass die junge Greifin ihm doch auf irgendeine Art und Weise half ...
Opailikiita bog den Hals, um Kes zuzusehen, während diese das Hemd des Mannes öffnete und die furchtbaren Quetschungen auf der Brust betastete. Ich habe nicht die Macht zu heilen, bemerkte die Greifin, und es klang nicht ganz nach einer Entschuldigung. Ich habe den Blutverlust gestillt. Das schien genauso zu gehen wie bei jemandem aus meinem Volk.
»Oh«, sagte Kes erstaunt und erinnerte sich endlich wieder daran, dass die Greifen zumindest so viel tun konnten. »Danke ...«
»Das hast du gut gemacht«, lobte Kairaithin und betrachtete den Arm des Verwundeten mit einer seltsamen Mischung aus Gleichgültigkeit und Beifall. »Später einmal wirst du feststellen, dass du möglicherweise auch unsere Wüste daran hindern kannst, einem verletzten Menschen die Kraft der Erde zu entziehen. Das ist möglich. Man gestaltet dieses Hemmnis aus dem eigenen Selbst.«
Ja, sagte die junge Greifin in einem Tonfall erstaunten Begreifens.
»Man benutzt nicht Feuer, um ein Geschöpf der Erde zu heilen«, erklärte Kairaithin Kes. »Du nimmst jedoch eine einzigartige Stellung zwischen Erde und Feuer ein. Ich weiß nicht, welche Möglichkeiten zur Heilung du in dir finden wirst - entweder mit Feuer oder mit Erde.«
Doch Kes hörte ihn im Grunde gar nicht. Besorgt blickte sie auf den Mann hinab. Sie strich mit der Hand über das Gestein und sammelte ein wenig roten Staub; dann ließ sie ihn auf ihrer Hand zu Licht werden. Anschließend kniete sie sich nieder, hob das in der Handfläche gehaltene Licht empor und fragte sich, was genau sie damit eigentlich bewirken konnte. Nichts an dem Mann sprach zu ihr; obwohl sie sorgfältig lauschte, vernahm sie seinen Namen nicht im Pochen ihres Blutes. Sie wusste, dass Greifen Kreaturen des Feuers waren und nichts mit der Erde zu tun hatten; sie wusste, dass die Feuermagie, die sie von Kairaithin gelernt hatte, nichts bei Menschen bewirkte. Irgendwie hatte sie jedoch in diesen wenigen Tagen in der Wüste vergessen, wie sehr sich Menschen und Greifen wirklich unterschieden. Jetzt wusste sie nicht, was sie tun sollte.
Selbst in dieser kurzen Zeitspanne war der Atem des Mannes noch mühseliger geworden. Blutbläschen bildeten sich an den Nasenlöchern; und Blut rann ihm langsam aus dem Mundwinkel. Er lag im Sterben. Wenn Kes ihn retten wollte, musste sie es schnell tun; ihr blieb nicht genug Zeit, um lange zu überlegen oder eine Entscheidung hinauszuzögern ... Und wenn sie etwas versuchte und dabei scheiterte, war er auch nicht toter, als wenn sie es gar nicht erst versuchte.
Sie sog scharf die Luft ein und legte ihm beide Hände auf die Brust - sowohl die leere Hand als auch die andere, die das Licht hielt. Sie schloss die Augen, lauschte nach dem Namen des Mannes, nach seinem Herzschlag. So angestrengt sie jedoch auch hinhörte, sie vernahm nichts als den mühsamen Atem. Dieser war erneut schlimmer geworden ... wurde jeden Augenblick schlimmer. Er würde sicherlich bald sterben. Es sei denn, Kes konnte ihn retten.
Sein Blut verwandelte sich nicht in Rubine, während die Tropfen auf den heißen Felsen fielen; es blieb eine Flüssigkeit. Kein Feuer existierte in seinem Blut. Kes biss sich auf die Lippe und goss ihm Feuer ins Blut, wie sie kürzlich gelernt hatte, es bei sich selbst zu machen. Zunächst wehrte sich sein Körper gegen das eindringende Feuer. Er wurde nicht wach, schüttelte sich aber unter Krämpfen und stieß dabei
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