Greifenmagier 1 - Herr der Winde
damit ängstigte, dass es einfach mit einem unbekannten Magier in der Wüste verschwand und nicht mehr heimkehrte.
Das Mädchen erwiderte seinen Blick seltsam offen, als hätte es gegenüber der ganzen Welt keinerlei Geheimnisse. Und doch lag eine stille Zurückhaltung hinter diesem Blick, die Bertaud gänzlich verschlossen blieb. Ein schweres goldenes Licht bewegte sich in Kes' Augen: ein Licht, das von feurigen Schwingen und rotem Wüstensand kündete, sodass Bertaud einen Augenblick lang brauchte, um zu erkennen, dass diese Augen im Grunde blaugrau waren wie der Niambesee im Sturm. Die Farbe schien sehr seltsam. Er hatte erwartet, dass die Augen feuerfarben wären.
Dann senkte sie den Blick. Zerzauste blasse Haare fielen vor ihr zierliches Gesicht, und sie wich zurück in den ... Schutz, dachte er, so merkwürdig ihm das auch vorkam ... in den Schutz einer schlanken braunen Greifin, die sich um den Rücken des Mädchens bog und diesem schützend eine Schwinge über die Schulter legte.
Hinter den beiden stand Kairaithin. Anasakuse Sipiike Kairaithin. Der Name glitt seltsam vertraut durch Bertauds Bewusstsein. Kairaithin hatte nach wie vor die Gestalt eines Menschen, wirkte jedoch ganz und gar nicht wie ein Mensch. Er starrte Bertaud mit gefühlloser Ruhe an, als hätte sich die Stille der Wüste in seinen Blick gelegt. Er schien ... zufrieden. Nicht ohne Grund, dachte Bertaud bitter. Der Greifenmagier wirkte jedoch wenigstens nicht zornig.
Bertaud rappelte sich langsam auf. Es war jedoch nicht schmerzhaft. Wenn er an seinen Kampf - falls man es denn so nennen konnte - mit dem weißen Greifen zurückdachte, erschien ihm das wie ein Wunder. Er sah sich ungläubig um, betrachtete die steinerne Halle, die wartenden Greifen, das Mädchen, das sich an die Greifin hinter sich lehnte und sie wie ein Haustier tätschelte ... und dann fiel sein Blick auf Kairaithin.
»Mensch«, sagte dieser und wartete mit unerschütterlicher Geduld auf eine Reaktion.
Bertaud erwiderte seinen Blick mit so viel Stolz, wie er noch aufbrachte. In den Augen des Greifenmagiers lauerte etwas Seltsames, Nichtmenschliches ... ein harter, grausamer Humor, der menschlichem Empfinden ganz fremd war. Bertaud senkte angesichts dieses schwarzen Starrens leicht den Kopf und erkannte so die Macht des Greifen an. »Herr.«
Kairaithin neigte zufrieden den Kopf zur Seite. »Ich hätte dich lieber hierher gebracht, ohne Blut auf dem Sand zu vergießen.«
»Und was ist dies für ein Ort?« Mit Mühe gelang es Bertaud, seine Stimme unter Kontrolle zu bringen.
»Die Halle des Herrn von Feuer und Luft.« Kairaithin ging an dem Fürsten vorbei auf den bronzefarbenen und goldenen Greifen zu, den Bertaud als Ersten gesehen hatte. Im Gehen verwandelte sich der Greifenmagier: Er ragte höher auf, schwoll an, dehnte sich in alle Richtungen, und die wahre Gestalt des Greifen trat aus der des Menschen hervor.
Es war ein prachtvoller Greif: groß und schwer, mit kräftigen Schultern und Augen, die schwärzer als der Wüstenhimmel bei Nacht waren. Die dunkle Färbung machte ihn nur noch eindrucksvoller: Die Schwingen, die so stark von schwarzen Streifen durchzogen waren, dass nur wenig Rot durchschimmerte, lagen auf einem Rumpf, der an die dunkle Glut im Herzen eines Feuers erinnerte. Er sagte zu Bertaud: Aber zu guter Letzt bist du doch hierhergekommen, nicht wahr, Mensch?
Seine Greifenstimme erinnerte stark an die, die er als Mensch hatte. Derselbe strenge Humor schwang darin mit. Ihr Klang glitt in Bertauds Bewusstsein wie ein Löwe, der durch die Nacht pirschte.
Zu vieles ging Bertaud durch den Sinn, was er hätte sagen können, und so schwieg er lieber.
Der Herr der Greifen rührte sich. Es war kaum mehr als ein leises Rascheln im bronzefarbenen Gefieder und eine winzige Bewegung des Hauptes. Aber damit zog er die Blicke aller auf sich. Seine Kraft und sein Zorn hämmerten durch die heiße Luft. Er sagte mit einer Stimme, erfüllt von der Wucht der Mittagssonne: Bertaud, Sohn von Boudan. Dienst du dem König von Farabiand?
Bertaud schloss für einen Moment die Augen. Vorsichtig antwortete er: »Ja.« Und setzte dann hinzu: »Herr.«
Der Greif neigte den Kopf leicht zur Seite, und undeutbare Augen bannten Bertauds Blick. Sipiike Kairaithin denkt, du könntest uns nützlich sein und dem König von Farabiand eine Nachricht von mir überbringen.
»Das könnte ich«, pflichtete ihm Bertaud bei und ergänzte, da er nicht zu fügsam auftreten wollte:
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