Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Stille, worüber sich außer dem Wind nichts bewegte. Sowohl die Wüste als auch der Wind gehörten ihm, Bertaud, und er empfand eine wilde und besitzergreifende Liebe zu ihnen ...
Er lag auf rotem Gestein in reichem Sonnenlicht, das wie geschmolzenes Gold auf dem Fels Pfützen bildete; und er starrte in das heiße, strahlende Licht, ohne dass seine Augen geblendet wurden. Die Hitze stieg wie aus einem Hochofen vom Fels auf, und er fühlte sich wohl darin. Seine Schwingen waren ausgebreitet und der Sonne zugewandt, um ihr Licht einzufangen. Es konnte nie zu viel Wärme geben, nie zu viel Licht ...
Er ließ sich durch einen Sturm tragen. Der Wind toste durch seine Flügel hindurch und schleuderte ihn mit großer Heftigkeit himmelwärts. Doch eine behutsam ausgestreckte Flügelspitze reichte schon, um ihn seitlich in eine Schleife zu werfen, die ihn schließlich über den Sturm hinaus in klare Luft führte. Er schrie laut vor Begeisterung, und seine Stimme durchschnitt wie ein Schwert die Luft. Aber im Tosen des Sturms vernahm er selbst die eigene Stimme kaum. Und dennoch waren sowohl sein Ruf als auch das Tosen des Sturms Teil der tiefen Stille über der Wüste. Es war eine Stille, die jeden Laut mit einschloss und so auch die Gewalt des Sturms umfasste ...
Er wurde langsam wach. Er hatte keine Schmerzen, was ihm merkwürdig vorkam, obwohl er nicht verstand, warum er mit so etwas rechnete. Als er sich zu bewegen versuchte, verstand er die Reaktion des eigenen Körpers nicht. Es schien der falsche Körper zu sein. Er begriff nicht, warum er keine Flügel und Krallen hatte. Seine ... Hände ... ja, seine Hände ... reagierten, zuckten von unerwartetem Splitt und Stein zurück; aber er wusste nicht, was er eigentlich erwartet hatte. Er versuchte die Augen zu öffnen, doch es fiel ihm schwer. Die Lider waren verklebt von ... Blut, dachte er. Blut? Er hatte ... er hatte ... einen Unfall gehabt? Es gab einen ... Kampf?
Er rieb sich mit dem Arm über die Augen, konnte sie schließlich öffnen und blickte auf. Die Erinnerungen stürzten so heftig auf ihn ein, dass es ihm den Atem verschlug.
Dann sah er, dass er hoch über der Welt auf Felsboden lag. Säulen aus verformtem rotem Stein ragten ringsherum auf und trugen ein steinernes Dach, sodass er im Schatten lag - einem heißen Schatten ... So heiß, dass ihm die Luft wie der Atem eines lebendigen Tieres erschien. Die große Halle, die von diesen Säulen gebildet wurde, wies einen sandigen Boden auf; der Wüstenwind drang herein und strich den Sand auf dem Boden zu Mustern. Das war kein Ort für Menschen. Man brauchte Bertaud erst gar nicht zu sagen, dass es ein Ort für Greifen war, den sie irgendwie aus Feuer und Wüste geschaffen hatten.
Und Greifen hielten sich hier auf. Einer bannte seinen Blick sofort, obwohl er ihm nicht am nächsten lag: eine vordere Adlerhälfte von dunkler Bronzefarbe ging nahtlos in die Löwenhälfte über, und erbarmungslose goldene Augen starrten in die von Bertaud. Zorn entströmte diesem Greifen und schlug Bertaud wie Hitze ins Gesicht. Der Zorn ängstigte ihn. Trotzdem fühlte er sich nicht so ... erstickt, so benommen wie bei seiner ersten Begegnung mit Kairaithin vor der Schlacht. Er konnte jetzt Gedanken fassen. Er dachte, dass er auch würde reden können, falls ihm etwas einfiel, das es wert gewesen wäre, ausgesprochen zu werden.
Allerdings musste er sich überwinden, um den Blick abzuwenden, sich auf einen Ellbogen hochzustemmen und sich umzusehen. Ein golden-kupferfarbener Greif, der hell wie die Sonne war, ruhte neben dem ersten. Eine Greifin - dunkelrot, das Gefieder stark mit goldenen Linien durchsetzt - lag hinter diesen beiden männlichen Kreaturen. Auch sie wirkte zornig. Zornig und wild und bereit, auf die leiseste Provokation hin oder womöglich auch ohne jede Provokation zu töten. Ein weißer Greif ganz in der Nähe wirkte noch viel entsetzlicher, und Bertaud zuckte vor ihm zurück, ehe er auch nur einen Grund dafür nennen konnte.
Dann fiel es ihm wieder ein. Er erstarrte, versuchte, mit dieser Erinnerung fertig zu werden. Der weiße Greif rührte sich nicht. Seine so völlig nicht menschlich wirkenden feurigen blauen Augen hielten Bertauds Blick fest.
Eine Hand berührte den Fürsten an der Schulter, und er zuckte zusammen und wandte den Kopf. Eine Frau kniete neben ihm. Nein. Ein Mädchen. Kaum mehr als ein Kind. Kes, ging ihm durch den Kopf. Natürlich ... das musste das Mädchen Kes sein, das Familie und Freunde
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