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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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entwickelt.
    „Wir müssen kein Highlight für rosa Internetseiten werden“, zürnte Erwin eines Tages in aller Öffentlichkeit und schickte Ordnungshüter an den See, die dort zumindest dem Nacktbaden ein Ende bereiten sollten. An bekannten Schwulentreffpunkten im Hofgarten ließ Erwin Razzien durchführen, ganz wie zu verklemmten Adenauerzeiten. Darauf angesprochen, entgegnete der Oberbür-germeister in rüdem Ton, dass gefälligst nach Berlin gehen solle, wem das nicht passe.
    Dem Image der Stadt war diese Bemerkung nicht eben förderlich, vor allem nicht aus Sicht der Modebranche, für die Düsseldorf bislang der wichtigste Standort in Deutschland war. Das Milieu der Haute Couture legt bekanntlich wert auf Weltoffenheit und Toleranz, und genau mit diesem Argument im Hinterkopf denken ein paar Verantwortliche der Düsseldorfer Modemessen seit geraumer Zeit laut darüber nach, ihre Aktivitäten nach Berlin zu verlegen.
    Das hatte Erwin mit seiner Umzugsempfehlung in die Bundeshauptstadt natürlich nicht im Sinn gehabt, und seither hält er sich mit homophoben Attacken wohlweislich zurück.
    Nein, repräsentativ für die Stadt ist der Oberbürgermeister mit seiner Abneigung gegen Schwule nun wirklich nicht. Denn die Düsseldorfer betrachten sich eigentlich als eine Art gesellschaftliche Avantgarde.
    Manchmal sind sie das ja auch wirklich.
    Die Aids-Hilfe der Stadt etwa hat als eine der ersten in Deutschland eine schwule Jugendgruppe auf die Beine gestellt, die inzwischen auch eine der größten und umtriebigsten bundesweit ist. Sie nennen sich Die Kuckuckseier und treffen sich jeden Dienstag in den Räumen der Düsseldorfer Aids-Hilfe, in einem alten Gewerbe-Hinterhof im Stadtteil Oberbilk.
    Betreuer der Gruppe ist der Sozialpädagoge Helmut Kiolbassa, der sie seit ihrer Gründung Anfang der neunziger Jahre begleitet. Er hat im Lauf der Jahre eine Menge Erfahrungen sammeln dürfen.
    Wie hat sich denn nun in diesem Zeitraum das Coming-out gewandelt?
    „Wir gehen davon aus, dass für Jugendliche aus mittelständischen, bürgerlichen Familien das Coming-out leichter geworden ist“, sagt der 47-jährige.
    „Jedenfalls sind uns in den letzten Jahren keine Katastrophenmeldungen mehr bekannt geworden. Man merkt die Veränderung auch an den Themen in den Gesprächsrunden. Es gibt kaum noch einen Bedarf, darüber zu reden, wie das denn nun war, als man es dem Vater, der Mutter oder der Großmutter gesagt hat. Trotzdem stellt das Coming-out immer noch ein Problem dar. Für viele ist es nicht einfach, wenn sie das erste Mal zu uns kommen. Die meisten schleichen zuvor mit hochrotem Kopf dreimal um den Block, bevor sie sich dann doch trauen, zu uns ins Loft-Café zu kommen. Besonders problematisch ist das Coming-out bei Jugendlichen aus Einwandererfamilien, besonders mit polnischem, russischem und islamischem Hintergrund. Die Eltern reagieren entsetzt, zurückweisend, stellen sich die Schuldfrage.“
    Wie es der Zufall so will, kommt in diesem Augenblick ein Mittzwanzigjähriger zur Tür rein und erkundigt sich nach einer Aufklärungsbroschüre für Eltern.
    „Aber die ist doch nicht für deine Eltern?“, fragt Kiolbassa zweifelnd nach, der den jungen Mann der Begrüßung nach aus der Gruppe zu kennen scheint.
    „Nein“, entgegnet der Mittzwanzigjährige, „für einen Freund, dessen Familie aus Kolumbien eingewandert und extrem katholisch ist.“
    Ach so. Der Sozialpädagoge fühlt sich bestätigt und lehnt sich zufrieden auf seinem Stuhl zurück.
    Und wie fühlen sich die Jugendlichen in der schwulen Szene, nachdem sie ihr Coming-out hatten?
    „Die, die zu uns kommen, stehen ihr häufig skeptisch gegenüber. Es gibt einige, die da gar nicht erst eintauchen und sagen: ,Ich bin kein Szenegänger!’ Dabei ist es nicht so, dass sie sich die Szene materiell nicht leisten könnten. Vielmehr ist es die Furcht, den Erwartungen nicht entsprechen zu können. Aber wenn man über die Jugendlichen hier spricht, muss man unterscheiden.“
    Kiolbassa teilt sie in drei unterschiedliche Gruppen ein.
    „Da sind zunächst mal diejenigen, die die Gruppe als Einstieg für ein politisches und soziales Engagement in der Bewegung nutzen. Sie organisieren Partys, Safer-Sex-Workshops und den gemeinsamen Auftritt auf dem Christopher Street Day. Manchmal werden auch Abende organisiert, zu denen die heterosexuellen Freunde eingeladen sind.“
    Das hört sich nach einer guten Idee an. Mal was, das wirklich in Richtung Integration geht.
    „Dann

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