Grenzen der Sehnsucht
immer sind sie zusammen. Beide sagen an diesem Abend übereinstimmend: „Wir leben in einer superglücklichen Beziehung.“
Ohne Internet hätten sich die beiden womöglich nie kennen gelernt.
Keine Frage, die elektronische Vernetzung hat die schwule Kontaktkultur revolutioniert – und von realen Bars und Kneipen unabhängig gemacht.
Auch auf der Homepage der Kuckuckseier feiert man die Möglichkeiten des virtuellen Mediums. Dort heißt es in einer kurzen Einführung: „Früher war alles anders. Man besorgt sich mit knallrotem Gesicht ein schwules Buch, musste es noch an Mami und Papi vorbei ins eigene Zimmer schleppen. Heute schaltet ein Coming-outler einfach den Computer ein. Er geht ins Internet und besorgt sich die wichtigsten Informationen, ohne dass dafür eine große Hürde zu überwinden wäre.“
Mag sein. Aber ist deswegen heutzutage wirklich alles besser als früher, oder um es etwas jugendlicher zu formulieren, total locker, easy und relaxt?
Man muss nur mal die Probe aufs Exempel machen. Wer bei Google etwa den Begriff „schwule Jugendgruppe“ eingibt, bekommt mehr angeboten, als er unter Umständen wissen möchte. Zum Beispiel auf dem Portal Verliebte Jungs, dem „Magazin für schwule Jugendliche“, das auch von einigen Aids-Hilfen empfohlen wird. Dahinter verbirgt sich allerdings eine kommerzielle Website mit dem Slogan „Teenboys – knallhart am Wichsen“. Eine andere Site, die sich mit dem Suchbegriff „schwule Jugendgruppe“ empfiehlt, weiß die Vorzüge von elektrischen „Analdildos“ zu preisen, die „180 Stöße pro Minute“ generieren. Nicht weniger sexistisch geben sich die schwulen Kontaktforen, in denen, wenn man einen Partner sucht, alle nur denkbaren Sexualpraktiken abgefragt werden. Ganz wichtig ist vor allem die Schwanzgröße.
Nun muss man nicht unbedingt prüde sein, um auf die Idee zu kommen, dass so locker, easy und relaxt sich das alles dann doch nicht anhört. Eher nach Hochleistungsprinzip, nach Objektdenken und sexueller Ausbeutung. Für Jungs in der Pubertät, die ohnehin mit ihrem Körper und ihrer Identität hadern, eröffnet das nicht unbedingt eine verlockende Vorstellung von ihrer Zukunft.
Da drängt sich einem der Verdacht auf, dass es einem Jugendlichen auch von Seiten der schwulen Subkultur schwer gemacht wird mit dem Coming-out, ganz gleich, ob man nun in Neubrandenburg oder in Düsseldorf lebt.
Auch deswegen sollte es Gruppen wie die Kuckuckseier flächendeckend geben.
Göttingen
Schwarzwaldklinik für Schwule
Warum in Studentenhochburgen wie Göttingen bürgerliche Normalität eingekehrt ist
Wo fand eigentlich der erste Christopher Street Day auf deutschem Boden statt?
Nein, nicht in Berlin, Köln oder Hamburg. Ausgerechnet im beschaulichen Städtchen Münster war es, wo sich im April des Jahres 1972 ein paar wagemutige Schwule und Lesben mitten in der Fußgängerzone versammelten und vor dem Hintergrund schmucker Fachwerkhäuschen Transparente schwenkten, auf denen Sprüche zu lesen waren wie: „Homos raus aus den Löchern“ und „Zehn Prozent der Lehrer sind homosexuell“.
Manchen braven Passanten müssen sich die Nackenhaare vor Entsetzen gesträubt haben; selbstbewusst bekennende Schwule hatten sie bis dahin vermutlich noch nie zu Gesicht bekommen. Von Gelassenheit und Toleranz konnte zu damaligen Zeiten, als für schwule Pädagogen noch Berufsverbot galt, bei weitem nicht die Rede sein.
Der Ort war nicht zufällig gewählt. Als Universitätsstadt gehörte Münster zu jenen Brennpunkten der alten Bundesrepublik, die das Land nach 1968 über viele Jahre hinweg immer wieder rumoren ließen. Studentische Hochburgen wie Heidelberg, Freiburg und Göttingen galten als symbolische Orte der neuen Linken, die als Kristallisationspunkte einer Revolution dienen sollten. Dort war der Anteil der Studenten an der Gesamtbevölkerung um einiges höher als in den großen Metropolen; in manchen Städten war gar jeder vierte Bewohner an einer Uni eingeschrieben. Wie es der Zeitgeist der Siebziger wollte, waren die meisten von ihnen bis in die Fingerspitzen politisiert – oder wollten zumindest den Anschein vermitteln, was mitunter groteske Züge annahm. Ralf König hat das einmal in einem alten Schwulcomix aufgegriffen. „Weißt du, ich halte es für falsch, den Mensa-Köchen die Schuld zu geben, dass das Essen so mies ist“, lässt er eine seiner Figuren beim Teetrinken in einer WG-Stube mit obligatorischem Joan-Baez-Poster an der Wand sagen,
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